„Graffiti war schon immer Kunst und Vandalismus“

Für Kunstwissenschafterin Hoppe ist Graffiti fast eine „Anthropologische Konstante“

Ilaria Hoppe
Ilaria Hoppe © Schicho

Seit sechs Jahren lehrt Ilaria Hoppe an der „Fakultät für Philosophie und für Kunstwissenschaft“ der Katholische Privat-Universität (KU) Linz. 1968 in Essen geboren, studierte sie Kunstgeschichte in Düsseldorf und Berlin. Dort entdeckte sie auch ihr „Steckenpferd“ Graffiti und Street-Art.

Sie ist auch Mitinitiatorin des „Linz Mural Project“, das zum Ziel hat, mehr Wandmalerei (Murals) in die Linzer Innenstadt zu bringen, neue Kunsträume im urbanen Raum zu erschließen und auf diese Weise Kunst niederschwellig und barrierefrei in die alltägliche Wahrnehmung der Menschen zu integrieren.

An der KU gibt es mittlerweile drei solcher Murals. In der Vorwoche war sie auch Keynote-Speakerin bei der Veranstaltung „Land der Möglichkeiten“.

VOLKSBLATT: Seit wann beschäftigen Sie sich mit Graffiti?

HOPPE: Das kommt aus meiner Zeit in Berlin, da habe ich lange gelebt. Um die Jahrtausendwende tauchten in der Stadt auf einmal diese Bilder auf und keiner wusste, was das war und woher das kam. Ich war damals an der Humboldtuniversität und beschäftigte mich mit Bildwissenschaften. Und keiner der Kollegen wollte sich um dieses neue Thema kümmern und ich war auch ein bisschen affin dafür, denn seit ich 16 bin, war ich auch in den Subkulturen unterwegs.

Wie wurde es dann Thema in der Wissenschaft?

Ich habe mit Street-Art angefangen, habe auch das erste Seminar darüber in Deutschland angeboten. Und habe dann geforscht und darüber publiziert. Das war totales Neuland. Aber je mehr man in sich in die Sache vertiefte, wurde klar: Das ist überhaupt kein Neuland. Der Begriff Graffiti kommt aus den 1960er-Jahren und irgendwie stehen sie sogar in einer Tradition zur Höhlenmalerei. Darum beschäftigen sich nicht nur die Kunstgeschichtler, sondern auch Anthropologen, Ethnologen und selbst Archäologen damit. Das Thema brodelt. Irgendwie scheint Graffiti so etwas wie eine „Anthropologische Konstante“ zu sein, das es schon immer und in allen Kulturen gab.

Graffiti sind oft nur kurz zu bewundern. Was motiviert die Sprayer?

Dadurch, dass es anonym ist, wissen wir das natürlich nicht genau. Manche haben sicher einen künstlerischen Anspruch, die üben viele Jahre, um ihren Style zu verbessern. Manche machen sogar eine richtige Karriere. Es gibt auch welche, die machen das aus Langeweile oder weil sie „gegen das System“ auftreten wollen. Es gibt auch welche, die etwas kaputt machen wollen, das heißt auch „bomben“. In Linz sind die aktivsten Sprüher vermutlich die, die ihre Fußballklubs verewigen wollen, aber da geht es eher darum, das Territorium zu markieren. Grundsätzlich gilt, was ein Kollege in seiner Dissertation so formulierte: „Graffiti war schon immer Kunst und Vandalismus“. Es geht nicht um das „Oder“, sondern es hatte schon immer diese beiden Komponenten.

Gehört das Übertreten des Gesetzes, das Verbotene tun, zum Reiz des Graffiti?

Ja. Klassisches Writing oder Graffiti ist illegal, das gehört einfach dazu. Das Adrenalin. Das Abenteuer. Und es hat in manchen Fällen auch mit den Dumme-Jungen-streichen zu tun. Aber Pauschalieren kann man es nicht.

Eine wesentliche Stilrichtung ist das „Writing“ – ist das eine moderne Form der Kalligrafie?

Auf jeden Fall. Aber dann läuft es natürlich Richtung Kunst bzw. Kunsthandwerk. Da wird oft sehr viel Aufwand betrieben.

Auch die KU setzt auf Wandmalerei, jüngst wurde der „Hieronymus“ fertiggestellt. Gab es eigentlich Widerstände dagegen?

Wir haben schon das dritte Wandgemälde. Aber das ist kein Graffiti, sondern Wandmalerei, also „Mural-Art“. Und weil es legal ist und mit Auftrag nennt man es „Urban-Art“. Und es gibt sehr viele positive Reaktionen: Hier im Haus regen sie die Kommunikation an und stiften auch Identität. Gerade weil man sich mit dem Heiligen Hieronymus sehr gut identifizieren kann. Und Anrainer und Passanten zeigen sich erfreut und sehen die Dametzstraße dadurch aufgewertet und verschönert.

Aber auch diese Gemälde sind wohl eher auf Zeit angelegt und nicht für die Ewigkeit?

Die modernen Farben sind sehr gut und fangen erst nach zehn Jahren an zu verblassen. Und dann kann man sich ja überlegen, ob man diese Gemälde reinigt und schützt, oder ob man einen neuen Akzent setzen will.

Mit Kunstwissenschafterin ILARIA HOPPE sprach Herbert Schicho

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