Homoerotisches Drama in Überinszenierung

Premiere von „Tom auf dem Lande“ in den Linzer Kammerspielen

Daniel Klausner
Daniel Klausner © Herwig Prammer

Über dem gesamten Theaterabend steht eine Frage: Ist es im 21. Jahrhundert noch notwendig, seine homoerotische Beziehung zu verheimlichen, vor allem in der Familie? Die Antwort des Stücks „Tom auf dem Lande“ von Michel Marc Bouchard ist „ja“ mit allen dramatischen Konsequenzen.

Die engagierte Produktion hatte am Samstag, 24. Februar, in den Linzer Kammerspielen Premiere. Sie wurde aber zum Teil zu einer vertanen Chance, zu viele einzelne Regieeinfälle und eine Überinszenierung ließen das wichtige Thema in den Hintergrund treten.

„Tom auf dem Lande“ des kanadischen Autors Michel Marc Bouchard (Jahrgang 1958) wurde 2011 uraufgeführt, ist inzwischen in 16 Sprachen übersetzt und wurde auch verfilmt. Im Mittelpunkt steht ein Städter namens Tom, dessen Lebens- und Liebespartner Guillaume bei einem Motorradunfall ums Leben kam. Nun soll Tom zur Familie des Toten „aufs Land“ reisen und dort am Begräbnis teilnehmen.

Zumindest die Mutter des Verunglückten weiß allerdings nichts von der Homosexualität ihres Sohnes. Und so soll es auch bleiben, der Bruder Guillaumes will dafür sorgen, dass die „heile Welt“ der Heterosexualität in der ländlichen Familie erhalten bleibt. Was letztlich nicht gelingt.

Dramatischer Mix aus Trauer und Realitätsverweigerung

Doch bis dahin entwickelt sich ein dramatischer Mix aus Trauer, Wut, Realitätsverweigerung und auch Gewalt. Letztere ist in dem Stück als spezifisch männliches Element angelegt, das wesentlich auch das Leben der Frau prägt. Das ist der Grund, warum in der Linzer Inszenierung von Sara Ostertag auch die weiblichen Figuren – vor allem die Mutter Guillaumes – von Männern dargestellt werden.

Stichwort Inszenierung: Sie ist offensichtlich auf die Allgemeingültigkeit des Problems der Ausgrenzung jener gerichtet, die nicht den gängigen Geschlechterrollen entsprechen. Daher deutet zumindest im ersten Teil des Abends so gut wie nichts auf ein ländlich-hinterweltlerisches Ambiente hin. Auf der Bühne nicht mehr als eine große Treppe, die sich später teilt und ein weißer Hintergrund, vor dem der junge Musiker Ariel Oehl live agiert. Sein Sound prägt die gesamte Produktion, ist ein gelungener Background und einer der Pluspunkte der Inszenierung.

Erst im Verlauf des Stücks bläst sich ein großes, knallrotes Luftkissen (Stallboden, Weide?) auf mit einer Kuhattrappe in der Mitte. Und hier beginnt das Ganze in die erwähnte Überinszenierung abzugleiten. Die Darsteller klettern und hüpfen permanent auf dem roten Ding herum, lassen sich darauf fallen oder werden darauf gestoßen. Auf dem sich drehenden Rind wird geritten wie beim Rodeo. Häufige gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen den Protagonisten sollen offensichtlich „typische“ Prügeleien im ländlichen Raum symbolisieren.

Wobei hier wie insgesamt in der Inszenierung akrobatische und tänzerische Elemente eine tragende Rolle spielen, zum Teil fühlt man sich in einer Tanzperformance. Es werden eigens Mitglieder des Ballettensembles eingesetzt. Und selbst die „Kuh“ tanzt mit. Dass Darsteller an Seilen mit dem Kopf nach unten auf der Bühne hängen überrascht schließlich ebenso wenig wie das Finale, bei dem sich die gesamte Mannschaft in einem großen Schaumbad wälzt.

Darsteller körperlich stark gefordert

All das verlangt den Schauspielern ein hohes Maß an körperlichem Einsatz ab, eine Herausforderung, die bravourös gemeistert wird. Dazu müssen sie auch noch bemüht sein, in dem turbulenten Geschehen den subtilen Text von Autor Bouchard über die Rampe zu bringen.

Das Premierenpublikum – darunter wie immer viele Kolleginnen und Kollegen der Bühnenakteure – bedankte sich mit Standing Ovations. Ob das „normale“ Theaterpublikum ebenso reagieren wird, bleibt abzuwarten.

Von Werner Rohrhofer

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