Horrorrenaissance: Im Kino gibt es regelmäßig frisches Blut

Neben Genrekost aus Häusern wie Blumhouse oder Lionsgate brechen immer mehr Regisseur mit den Konventionen

Filmstill aus „Longlegs" von Osgood „Oz" Perkins © 2024 DCM

Wer sich in den vergangenen Jahren durch das Kinoprogramm arbeitete, konnte auf einige Konstanten setzen. Da ist natürlich das überbordende und mittlerweile totgelaufene Superhelden-Universum aus den Häusern Marvel und DC zu nennen. Zudem flimmerten etliche Fortsetzungen und Neuauflagen von Kultfilmen über die große Leinwand. Viel kreatives Potenzial offenbarte aber eine ganz andere Richtung: Horrorfilme.

Seit Anfang der 2000er haben Produktionsfirmen wie Lionsgate (etwa die „Saw“-Reihe um den Jigsaw-Mörder) oder Blumhouse („Sinister“ oder „Paranormal Activity“) mit blutigen Schockern, furchteinflößenden Geistergeschichten und reichlich expliziten Gewaltfantasien einem Millionenpublikum das Gruseln gelehrt. Aber nicht nur der Horrormainstream wurde seitdem mit frischem Blut gefüttert, immer öfter brachte das vermeintliche Nischenkino spannende Filmemacher mit klarer Vision hervor.

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P wie Perkins oder „Psycho“

Einer von ihnen ist Osgood „Oz“ Perkins, dem seine Profession als Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor quasi in die Wiege gelegt wurde: Sein namensgleicher Großvater reüssierte am Broadway und war in den 1920ern ein früher Hollywoodstar, Vater Anthony Perkins wiederum hat sich dank seiner Darstellung des Norman Bates in Alfred Hitchcocks „Psycho“ in die Filmgeschichte eingeschrieben. Betrachtet man die Werke von Sohnemann Oz, dann fällt besonders sein visueller Stil auf, setzt er doch etwa in der feministischen Märchenadaption „Gretel & Hänsel“ oder seinem neuesten Streich „Longlegs“ mit Nicolas Cage als schrillem Killer auf bewusst komponierte, teils artifiziellen Tableaus, die dem Schrecken eine eigenwillige Schönheit verleihen.

Wichtige Stimme im zeitgenössischen Hollywood

Stärker politisch ausgerichtet ist hingegen das Horrorkino von Jordan Peele: Der US-Filmemacher zählt spätestens seit dem sozialkritischen Körpertauschwahnsinn von „Get Out“ zu den wichtigsten Stimmen im zeitgenössischen Hollywood, wenn es um eine adäquate Darstellung der US-amerikanischen Gesellschaft geht. Dabei spielt natürlich der nach wie vor an der Tagesordnung stehende Rassismus eine Rolle, wenn etwa in „Wir“ furchterregende Doppelgänger als Referenz auf marginalisierte Gruppen das Kommando übernehmen. Eine Verbeugung vor seiner eigenen Zunft war wiederum das mit Sci-Fi-Elementen unterfütterte „Nope“, das sich an Tradition und Spektakel der Filmbranche abarbeitete.

Hexen, Wikinger und Dracula

Noch weiter in die Vergangenheit führt Robert Eggers sein Publikum: Schon sein Langfilmdebüt „The Witch“ war eine aus der Zeit gefallene Variation des Hexenthemas, das über weite Strecken von einer ungemein düsteren Atmosphäre und folkloristischen Ausformungen lebte. Das danach folgende Kammerspiel „The Lighthouse“ verfrachtete das ausdrucksstarke Duo Willem Dafoe und Robert Pattinson in die schwarz-weiße Hölle eines einsamen Leuchtturms – inklusive aller Wahnvorstellungen, die sich dort einstellen können. Zuletzt schickte Eggers Alexander Skarsgård als „The Northman“ auf einen blutgetränkten Rachefeldzug im Island der Wikingerzeit. Da scheint es nur logisch, dass er sich nun an Dracula wagt und im für Dezember angekündigten „Nosferatu“ dem Obervampir seinen Schrecken zurückgeben möchte.

Sektenhorror und Apokalypse

Und Ari Aster? Der mit 38 Jahren knapp Jüngste in dieser illustren Runde hat die vielleicht stärkste Wandlung hingelegt. War sein vielfach gelobtes Debüt „Hereditary“ mit Toni Collette in einer ihrer erinnerungswürdigsten Rollen noch (Familien-)Horror klassischen Zuschnitts, wagte er im Anschluss bei „Midsommar“ den Schritt ins Licht. In den sonnendurchfluteten Wiesen und Wäldern Schwedens stand für Florence Pugh Traumabewältigung an, was dank der örtlichen Sekte wilde Blüten trieb. Mit „Beau Is Afraid“ hat Aster im Vorjahr aber den Vogel abgeschossen: Oscar-Preisträger Joaquin Phoenix wird in dieser dreistündigen Tour de Force als neurotisch-verklemmtem Titelheld alles abverlangt, während Aster filmisch die Apokalypse ebenso beschwört wie Shakespeares „Sommernachtstraum“ oder einen riesigen, sprechenden (!) Phallus. Für das Publikum war das offenbar zu viel, floppte der Streifen doch trotz großteils guter Kritiken an den Kinokassen. Es sorgt eben nicht jeder Horror für einen wohligen Schauer.