„Ich habe es mir 27 Sekunden durch den Kopf gehen lassen“

Neo-Jedermann Michael Maertens über Feierabend, Freundin, Filme und Fuschlsee

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Seit 1. Dezember ist es offiziell bekannt, Michael Maertens (59) ist der neue Jedermann. Das VOLKSBLATT hat den Burgtheaterschauspieler am Donnerstag in Linz getroffen.

VOLKSBLATT: Haben Sie sich schon ans Jedermann-Dasein gewöhnt?

MICHAEL MAERTENS: Ich habe mich noch nicht gewöhnt, es ist noch eine Phase, die ich genieße. Ich werde oft von wildfremden Menschen darauf angesprochen. Und das passiert einem ja selten als Schauspieler, dass man eine Rolle spielt und einen die Leute in der Bahn, in der Apotheke oder bei Billa darauf ansprechen. Ich bin noch voller Vorfreude, aber das dicke Ende kommt ja noch. Ich muss noch den Text lernen, dann muss ich noch proben, und dann muss ich es ja auch noch spielen.

Ist der Jedermann etwas Besonderes, oder am Ende des Tages auch nur eine Rolle?

Nein, er ist schon ‘was Besonderes und war es auch immer in meinem Leben. Ich habe mit neun Jahren als Kind von Schuldknechts Weib debütiert, meine Schwester war die Tochter. Das war in Heppenheim in Hessen, da gibt es auch jedes Jahr den „Jedermann“ vor dem Dom. Da hat mein Vater mehrere Jahre lang den Tod gespielt. Dass dieser Mann am Zenit seines Lebens in den Tod gehen muss, das hat mich als Kind beschäftigt.

Haben Sie den „Jedermann“ in Salzburg oft gesehen?

Ich habe ihn mir oft angesehen, weil ich in Salzburg viel gespielt habe. Und wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich manchmal insgeheim kühn geträumt: Mensch, wie wäre das, wenn ich einmal den Jedermann spiele? Aber mit Anfang, Mitte 50 habe ich das ehrlicherweise aufgegeben und mir gedacht, wenn ich Glück habe, werde ich vielleicht noch einmal den Teufel spielen, aber der Jedermann ist vorbei. Und jetzt — das war wirklich eine Überraschung für mich!

Haben Sie sofort Ja gesagt?

Ich habe nicht gleich Ja gesagt. Frau Hering (Schauspielchefin bei den Salzburger Festspielen, Anm.) hat mich angerufen, dann habe ich gesagt: „Oh, das muss ich mir durch den Kopf gehen lassen!“ Dann habe ich es mir ungefähr 27 Sekunden durch den Kopf gehen lassen, sie zurückgerufen und gesagt: „Das mache ich, das muss ich machen.“

Arbeiten Sie bereits mit Regisseur Michael Sturminger?

Wir sind schon im Gespräch, es gibt schon Bühnenbildüberlegungen. Es wird ja jetzt tatsächlich eine Neuinszenierung. Wir sind sehr glücklich über die Besetzung, weil sie so interessant durchmischt ist. Es fängt bei Sarah Viktoria Frick als Teufel an, Helmfried von Lüttichau, den wir alle aus dem Fernsehen, aus „Hubert und Staller“, kennen, ich freue mich auf Anja Plaschg, weil man die mehr als Sängerin kennt. Für mich habe ich gesagt, ich möchte am 1. März anfangen, zu lernen …

Der war ja gestern …

Ich habe gestern die ersten sechs Zeilen schon auswendig gelernt. Der eigentliche Prozess geht dann so sieben Wochen vor der Premiere los.

Haben Sie sich schon Gedanken gemacht, wie Sie Ihren Jedermann anlegen?

Nein, da versuche ich auch immer, mich bei jeder Figur frei von zu machen. Ich lerne erstmal nur den Text. Ich habe Brandauer gesehen, ich habe Herrn Ofczarek gesehen, Herrn Obonya, Herrn Moretti, Herrn Eidinger … und ich habe natürlich auch so meine Vorstellung, wie das sein müsste, aber ich will mich selbst überraschen.

War es wichtig für Sie, dass es eine Neuinszenierung ist?

Es war mir gar nicht so wichtig. Der „Jedermann“ vergangenes Jahr mit Frau Altenberger und Herrn Eidinger hat mir wirklich gut gefallen. Ich sage das auch nicht einfach so, sondern das war aufwühlend, neu und modern. Mich hat da wenig gestört. Es würde mir nichts ausmachen, wenn wir in dem Setting bleiben würden. Aber nun ist es nicht so, und jetzt freue ich mich noch mehr, weil es ganz neu wird. Ich finde Herr Sturminger hat sich von Jahr zu Jahr weiterentwickelt und immer etwas Neues gefunden. Das wird er hoffentlich mit mir auch noch finden.

Die Beziehung bekommt vielleicht noch einen ganz neuen Aspekt, weil Valerie Pachner Buhlschaft und Tod spielt. Was erwarten Sie davon?

Da habe ich erstmals ganz simpel in meinem Kopf zusammengebastelt: Ah, der Eros ist auch der Tod. Das spielt da vielleicht irgendwie auch mit rein. Aber soweit ich verstanden habe, haben Frau Pachner und Herr Sturminger sich geeinigt, dass sie zwei Figuren spielt. Für mich als Spieler ist das vielleicht ganz interessant, wenn ich diese Beziehung mit der Buhlschaft spiele, dass im Hinterkopf für mich diese Bedrohung da ist. Ich stelle mir das auch ganz effektvoll vor: Das steht die schöne Buhlschaft und plötzlich verwandelt die sich in den Tod, oder so. Für die Buhlschaft ist es eine große Bereicherung, weil sonst wird ja immer nur übers Kleid, über den Ausschnitt gesprochen, obwohl das immer gestandene Schauspielerinnen sind.

Sind Sie für das Remmidemmi gewappnet?

Ich glaube, da muss man sich auch mal zurückziehen, man muss sich ja konzentrieren, und ich habe Familie und Freunde. Aber ich bin auch nicht gefeit vor Eitelkeit und Liebesbedürfnis und dem, was ein Schauspieler meistens gerne hat, nämlich, dass er angeschaut, begehrt wird. Ich finde es nicht so schlimm, wenn man sagt, komm da hin, dürfen wir dich fotografieren, oder kannst du da ‘mal in das Bierfass reinhauen. Aber das wird bei mir nicht Überhand nehmen, ich bin auch umgeben von prominenten Darstellern. Ich glaube, das verteilt sich dann ein bisschen. Und Interviews, das merken Sie ja, das bringt mir Spaß, ich rede gerne über mich, ich bin ja eitel.

Der Jedermann steigt ja meistens ganz gut aus. Bei der Buhlschaft sieht das anders aus. Verena Altenberger und Stefanie Reinsperger waren richtig fiesen Anfeindungen ausgesetzt.

Das ist ja absurd! Das sind ja Idioten, die das machen, die machen sich selbst lächerlich. Ich kann nur empfehlen: Lest doch diesen Quatsch gar nicht! Es wird auch bald eine Jederfrau geben und das ist auch richtig so. Ich bin mir sicher, dass sich weder Hugo von Hofmannsthal noch Max Reinhardt im Grab umdrehen, sondern das mit Freude beobachten. Ich möchte da auch Wegbereiter sein. Ich behaupte, ich bin ja selber so ein kleines Mädchen, habe mich nie so als Mann empfunden und die Figuren, die ich spiele, haben alle nie etwas sehr Männliches, sondern immer ‘was Androgynes. Ich halte mich selbst für eine androgyne Persönlichkeit.

Sie spielen 30 Jahre in Salzburg, haben Sie schon Rückzugsorte?

Es gibt zwei sehr dekadente Sehnsuchtsorte für mich, abgesehen von da, wo ich lebe. Das sind Sylt und das Salzburger Land. Auf Sylt habe ich keinen Besitz, da müsste ich aber auch nicht mehr Theater spielen, wenn ich den hätte (lacht). Aber da sind meine Eltern mit mir früher immer hingefahren, und da fahre ich jetzt noch gerne hin. Und am Fuschlsee habe ich seit längerer Zeit eine ganz kleine Wohnung für mich und die Kinder gemietet. Jetzt rentiert sich das, und ich muss nicht ins Hotel oder verzweifelt eine Wohnung suchen. Das ist praktisch, da kann ich von Salzburg mit dem Motorroller zum Fuschlsee fahren, ins Wasser springen und den Feierabend genießen.

Wäre es reizvoll für Ihre Freundin Marie-Luise Stockinger und Sie gewesen, eines der, jedenfalls im deutschsprachigen Raum, bekanntesten Theaterpaare zu spielen? In anderen Paarungen standen sie ja schon gemeinsam auf der Bühne.

Wenn ich ehrlich bin, würde ich es schon reizvoll finden, weil ich gerne mit ihr Zeit verbringe. Aber ich verstehe, dass sie es so mittel-reizvoll findet. Wir haben zuerst ja schon über blöde Gerüchte und so geredet, und man möchte ja nicht irgendwas spielen, wo die Leute dann sagen, das macht sie ja nur, weil ihr Mann da mitspielt. Deshalb findet sie es nicht so tragisch, dass sie nicht dabei ist. Aber sie hat sich für mich sehr gefreut. Wir haben immer irrsinnig viel miteinander gespielt, dann haben wir erkannt, wir sind verliebt, und seitdem dürfen wir nicht mehr miteinander spielen (lacht). Ich weiß auch nicht, warum, aber hoffentlich kommt das bald wieder.

Die nächsten beiden Sommer sind für Sie verplant, wo wird man Sie sonst noch sehen?

Anfang Dezember kommt eine Til Schweiger-Buddy-Komödie raus, „Das Beste kommt noch!“. Das ist meine erste Kinofilm-Hauptrolle.

Wie war es, mit Til Schweiger zu drehen?

Es war herrlich. Ich hatte, wie viele, so meine Bedenken. Aber dann dachte ich: Ne, der macht auch tolle Sachen. Ich war tief beeindruckt von seinem darstellerischen Talent, das oft unterschätzt wird. Es wird gesagt, der nuschelt ja nur. Das stimmt überhaupt nicht, der weiß ziemlich genau, was er macht. Zufällig war auch Peter Simonischek dabei, der seinen zweiten Film mit ihm gedreht hat, weil ihm das zuvor so viel Spaß gemacht hat.

Mit MICHAEL MAERTENS sprach Mariella Moshammer

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