„Ich sitze mit meinen Protagonisten im selben Boot“

Regisseurin Bianca Gleissinger über die filmische Reise in ihre Kindheit Alterlaa

Filmemacherin Bianca Gleissinger
Filmemacherin Bianca Gleissinger © Polyfilm

Die österreichische Filmemacherin Bianca Gleissinger liefert mit „27 Storeys — Alterlaa forever“ ihr Debüt und trifft in ihrer Doku auf Bewohner des Wohnparks Alterlaa in Wien, ihre Heimat.

VOLKSBLATT: Für alle Nicht-Wiener — Was ist Alterlaa?

BIANCA GLEISSINGER: Ich würde sagen, Alterlaa ist eine der berüchtigtsten und berühmtesten sozialen Wohnhausanlagen Österreichs. Das ist ein Areal mit über 200.000 m², 10.000 Bewohnern und wurde in den 1960ern unter der Prämisse „Wohnen wie die Reichen für alle“ gebaut. Dort gibt es Swimmingpools und Tennisplätze, riesige Grünflächen, und das alles für die mittelschichtige Einkommensklasse.

Wie ist das Bild heute?

Im Rückblick habe ich das Gefühl, dass es in den 80er- und 90er-Jahren so eine Energie von neu gab, das hat sich natürlich gewandelt. Der Genossenschaftsbeitrag war damals auch gar nicht so gering, meine Mutter hat immer von 100.000 Schilling in den 80ern gesprochen. Deswegen war mein Papa mit seiner Banker-Karriere dort auch in bester Gesellschaft. Es gab dort ein bisschen die Idee „In der Badehose sehen alle gleich aus“, man wusste dann nicht, wer der Bankdirektor ist oder wer Fenster putzt. Aber in der Praxis war das schon eine homogene Gemengelage, die da eingezogen ist. In der Gegenwart hat sich das schon sehr stark verändert, weil der Genossenschaftsbeitrag nicht mehr so hoch ist. Die paar tausend Euro hat schnell mal jemand von der Oma geerbt. Und ein Quadratmeterpreis von sieben Euro ist relativ unschlagbar.

War Ihre Grundidee für den Film eine Reise in die Kindheit oder sich ein doch spezielles Bauprojekt genauer anzuschauen?

Sowohl als auch. Als ich nach Berlin gezogen bin, hab ich gesehen, wie die Leute reagieren, wenn ich sage, ich sei im sozialen Wohnbau aufgewachsen. Nämlich mit Schock. Da wurde mir bewusst, dass da einiges richtig gemacht wurde an dem Ort, an dem ich aufgewachsen bin. Ich habe einen Blick zurück geworfen und erstmals war das ein Blick von außen, den ich ja vorher nicht hatte.

Der Film ist ja, ich nenne es einmal, sehr transparent. Sie zeigen Situationen, die andere als Hoppalas in den Abspann packen würden, zeigen sich selbst als Filmemacherin. War das so geplant oder hat es sich ergeben?

Ich würde gerne sagen, jaja, das war alles so geplant. Nein, es war gar nicht so. Ursprünglich wollte ich etwas formal viel Strengeres machen. Da war auch die Idee, dass das, was den Film zusammenhält, ja ich bin, die zurückkehrt. Und da war die Frage, wie erzählt man diese Figur. Wir wollten das, was die Figur an dem Ort macht, genauso zeigen, wie alles andere, was die Leute dort machen, garteln, im Schießclub sein … Und diese Figur macht eben einen Film. Das ist genauso wichtig oder unwichtig, wie das andere auch.

Sind Sie den anderen Figuren da nähergekommen?

Ja! Ich habe irre viele Menschen dort kennengelernt, über die Jahre hinweg baut man eine Nähe auf. Das hat schon parallel stattgefunden. Aber es war ganz schrecklich im Kino, wir hatten da immer wieder Rohschnittabnahmen, und ich bin immer tausend Tode gestorben, bis ich mich endlich daran gewöhnt habe, dass ich in diesem Film bin. Das ist schon etwas ganz Spezielles. Aber ich sitze, wenn wir jetzt im Kino sind, mit meinen Protagonistinnen und Protagonisten im selben Boot. Wir haben die gleichen Gefühle, wenn wir diese Bilder sehen.

Manche Szenen erinnern an Elizabeth T. Spira. Absicht?

Tatsächlich nein. Es gibt viele Gründe, warum ich mich mit meiner Arbeit ganz klar von Spira distanziere. Einer der Unterschiede ist, dass ich die Leute über Jahr hinweg porträtiere. Ich habe mich auch bemüht, viele verschiedene Farben der Menschen abzubilden und nicht zu sagen, das sei dieser Mensch und Punkt. Es ist mir aber schon sehr stark aufgefallen, wie sehr mein eigenes Aufwachsen geprägt war von ihrer Erzählästhetik. In Österreich braucht man ja nur Personen in deren Wohnungen zu zeigen und ist schon bei der Spira angekommen. Sie hatte schon eine sehr starke Bildsprache, die auch sehr breit konsumiert wurde. Das hat auch mich geprägt, aber ich würde sagen, wenn man es sich genauer ansieht, habe ich ‘was sehr anderes gemacht.

Wäre es für Sie denkbar, noch ‘mal in Alterlaa einzuziehen?

Es ist typisch für meine Generation, die 1990-Geborenen, dass wir scharenweise aus unseren Dörfern ausgezogen sind in die Städte Europas, und die wenigstens zieht es wieder zurück in ihr Dorf. Das Zurückgehen in mein Dorf ist auch für mich keine Option. Aber würde man so einen Häuserkomplex in Berlin-Kreuzberg aufziehen, mit Dachpool und so niedrigen Mieten, dann wäre ich schon angemeldet.

Das muss ja als Kind schon toll gewesen sein …

Das war extrem cool. Mein Bruder war vom Saisonstart bis zum letzten Tag am Wasser, das haben wir schon sehr genossen.

Nach dem Dreh ist vor dem Dreh: Bleiben Sie künftig der Doku treu, oder geht es auch Richtung Spielfilm?

Sowohl als auch. Ich entwickle gerade meinen nächsten Kino-Dokumentarfilm. Es ist ein Drei-Generationen-Porträt von Frauen, das sich mit der Abnehmkultur der westlichen Welt auseinandersetzt vor dem Hintergrund der Firma Weight Watchers. Es wird wieder einen sehr subjektiven Zugang geben mit Humor. Parallel arbeite ich an meinem ersten Exposé für etwas Fiktionales. Das soll ein feministischer Blick auf eine Männerbubble werden.

Mit BIANCA GLEISSINGER sprach Mariella Moshammer

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