„Ihr wollt es dunkler“: Stephen King erfüllt diesen Wunsch mit Genuss

Neues Buch mit Geschichten über Klapperschlangen, paranormale Ereignisse, Mord und Albträume

Willies Eltern halten ihren Sohn für seltsam. Er erfreut sich am Rascheln von toten Glühwürmchen in einem Konservenglas und mag den Gestank im Zimmer seines Großvaters, „die Mischung aus Pipi, Einreibemittel und dahinsiechendem Opa“, wie Stephen King schreibt. „Willie der Wirrkopf“ heißt eine der Geschichten im neuen Buch des Horrormeisters. Den Titel „Ihr wollt es dunkler“ (Heyne Verlag, 736 Seiten, 29,50 Euro) hat er von Leonard Cohen entliehen, gibt er zu. Der Inhalt ist original und damit typisch King.

Morbides, skurriles, schwarzhumoriges Lesevergnügen

„You want it darker“ lautet der Song auf dem letzten, gleichnamigen Album, das zu Lebzeiten des kanadischen Liedermachers Cohen erschienen ist. „You like it darker“ nennt sich das jüngste Werk des amerikanischen Schriftstellers in der Originalausgabe, das zwölf in sich abgeschlossene Geschichten enthält – einige kurz und bissig, andere länger und wie klassische King-Pageturner. Nicht jeder Beitrag entpuppt sich als ganz so dunkel wie jener über Willie: Auf rund 25 Seiten entführt hier der Autor in ein morbides, skurriles und schwarzhumoriges Lesevergnügen mit schrägem Ende (auch für Willie).

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Eine der zwei schwächeren Geschichten hat King als Einstieg gewählt: In „Zwei begnadete Burschen“ tischt er eine konventionelle Alien-Mär auf, die mit Augenzwinkern um das Thema Talent kreist, was sie dann doch amüsant macht. Das folgende „Der fünfte Schritt“ erweist sich als ganz anderes Kaliber: kurz, knackig, hart und kompromisslos. Ein wahrer Leckerbissen aus dem Hause King entfaltet sich in „Danny Coughlins böser Traum“, einer der längeren Storys im Buch. Ein Unschuldiger gerät unter Mordverdacht, ein Ermittler mit Tick will ihn unbedingt überführen – ein Szenario, das King genüsslich ausschlachtet, indem er die Psycho-Schraube immer enger dreht.

Der Meister des Horrors bleibt sich treu

Auch wenn sich der 76-Jährige treu bleibt, darf ein bisschen Hommage sein: „Auf der Slide Inn Road“ hat er etwa Flannery O’Connor gewidmet. Wie in deren brillanten Kurzgeschichten tauchen auch in der Story von King in ruraler Gegend schräge und fiese Typen auf, Gewaltausbruch von unerwarteter Seite inbegriffen. „Die Träumenden“ wiederum erinnern an H.P. Lovecrafts fantastischen Horror aus der Zwischenwelt, ein herrlicher Albtraum.

Am Ende greift King für „Der Antwortmann“ eine Idee auf, die er mit 30 hatte – gut so, denn hier läuft es einem wahrlich kalt über den Rücken. Davor darf man sich mit paranormalen Ereignissen und giftigen Reptilien gruseln: Die gespenstische, atmosphärisch dichte Geschichte „Klapperschlangen“ ist quasi Fortsetzung des King-Klassikers „Cujo“. Aber nicht nur Fans, die schon immer wissen wollten, wie es mit den Hauptfiguren des Romans weiterging, kommen auf ihre schaurigen Kosten.

„Ihr wollt es dunkler“ ist ein bunter Spaß an Mainstream-Horror. „Muss ich mich für mein Material entschuldigen?“, fragt King im Nachwort. Die richtige Antwort liefert er selbst: „Ich glaube nicht.“

Von Wolfgang Hauptmann

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