Jannis Niewöhner (31) über Nazi-Rollen, den Drachentöter und die AfD

Mit seinem Film „Stella“ ist der deutsche Shootingstar derzeit in den heimischen Kinos zu sehen

Kürzlich lösten Einladungen an Mitglieder der AfD zur Berlinale Empörung unter Filmschaffenden aus, die ihrem Unmut auch öffentlich Luft machten. Darunter war der 31-jährige deutsche Schauspieler und Shooting-Star Jannis Niewöhner („Narziss und Goldmund“). Inzwischen hat sich der Sturm etwas gelegt und der Fokus liegt wieder auf dem Kinostart des Films „Stella“, in dem Niewöhner den charismatischen Bösewicht Rolf spielt.

VOLKSBLATT: Werden Sie die Berlinale besuchen?

JANNIS NIEWÖHNER: Ja, das werde ich machen. Letztes Jahr war ich noch beim Dreh in Prag und konnte gar nicht da sein. Ich freue mich jetzt, seit langer Zeit die Berlinale wieder mitzunehmen. Ich bin gespannt, wieviele Filme ich sehen werde.

Sie haben sich aber im Vorfeld durchaus kritisch dazu geäußert, dass die AfD Einladungen zur Berlinale bekommen hat …

Absolut! Ich war vorletzten Samstag auf der Großdemonstration in Berlin und hatte da das erste Mal davon gehört, dass zwei Parteimitglieder der AfD eingeladen wurden. Es ist ja wohl so, dass es gewisse Kontingente gibt und dann automatisch Einladungen an die rausgehen. Es gab dann aber einen Kommentar der Berlinale dazu, in dem stand, dass das, wofür die AfD steht, in keinster Weise mit der Weltsicht der Berlinale vereinbar ist. Und dass diese Einladungen, die da rausgingen, eine Formalität waren, die sein musste, und die Berlinale sich aber persönlich in Briefen an die eingeladenen AfD-Mitglieder wenden wird und denen mitteilen, dass sie sozusagen nicht willkommen sind. Mittlerweile wurden diese Parteimitglieder ausgeladen.

Aber Ihnen war es schon wichtig, da auch öffentlich Stellung zu beziehen …

Ich mache das ja gar nicht so oft, öffentlich Stellung zu beziehen. Hauptsächlich will ich das mit meinen Filmen machen, mit dem, was ich wirklich kann. Ich bin kein Politiker. Ich fühle mich wohler, wenn ich das durch die Schauspielerei machen kann.

Ich habe kürzlich noch einmal Ihren Film „München“ gesehen. Da sagt Ihre Figur Paul: „Wir suchen uns die Zeit, in der wir leben, nicht aus.“ Man müsse kämpfen. Ist das jetzt auch so eine Zeit, in der wir leben?

Ja, schon! Es muss jedem natürlich überlassen sein, wie er das machen will, wie er sich am wirksamsten fühlt. Wie bei „München“: Da fühle ich mich als Schauspieler am sichersten, weil ich weiß, da ist ein Team, alle Departments wissen in ihrem Bereich genau, was sie tun. Zusammen wird das zu einer sehr kräftigen Aussage, hinter der ich als Schauspieler als Teil eines Ganzen gut stehen kann. Klar, jetzt merkt man auch, die Leute gehen auf die Straße, richtig viele, und es gibt eine klare Haltung. Auch aus einer Angst heraus, dass sich das wiederholen könnte. So weit das auch entfernt scheint, ist es irgendwie wieder vorstellbar. Es ist aber auch eine Versicherung, dass der Großteil der Menschen für die richtigen Werte einsteht und gegen menschenfeindliche Politik.

Man kann hier auch direkt den Bezug zu Ihrem neuen Film „Stella“ ziehen, der zur NS-Zeit spielt, und auch die Gefahr thematisiert, solche politischen Umbrüche zu „übersehen“. Zeigt das auch die Relevanz von Filmen mit historischen Stoffen?

Absolut! Wie relevant die Vergangenheit ist, sieht man jetzt bei den Demonstrationen. Wegen der Vergangenheit gehen wir heute auf die Straße und deswegen machen wir diese Filme. Weil wir wissen, dass unsere eigene Geschichte immer auch mit unserem Jetzt verbunden ist. Bei „Stella“ ist es noch einmal ein neuer Blick auf das, was der Antisemitismus auch geschafft hat. Nämlich eine Jüdin dazu zu bringen, andere Juden zu verraten, und wie perfide das alles ist.

Das war ja durchaus ein gewisses Wagnis, das der Regisseur damit eingegangen ist, eine Jüdin zur NS-Zeit auch als Täterin zu zeigen … Was war denn Ihr Interesse an dieser Geschichte?

Diesen Blick könnte man darauf haben: Das ist ein Film, da wird eine Jüdin als Täterin gezeigt. Ich würde es selbst nie so ausdrücken. Für mich würde nach diesem Film immer das Gefühl stehen: Meine Güte, wie schlimm und schlecht und perfide ist der Antisemitismus, weil er auch das geschafft hat! Ich finde, dass der Film den Versuch macht, da sehr detailliert vorzugehen und sich ja auch nicht im Fiktionalen verliert, sondern sehr wohl auf den ganzen Gerichtsprozessen und auf dem Buch von Peter Wyden aufbaut und sehr klar an der Realität bleibt. Und es ist eben so passiert, und es ist auch richtig, es dann so zu erzählen. Die ganz klare Aussage ist, so simpel das klingt: Antisemitismus ist schlecht und hat nirgends etwas zu suchen. Deshalb ist es für mich auch ein guter Film, und deshalb ist es mir wichtig, das zu erzählen.

Ihre Rolle des Rolf — was für ein Typ ist das, und wie würde der heute agieren?

Ich sage immer, dass der mit aller Macht versucht hat, sich nicht in die Opferrolle bringen zu lassen. Aus der Gefahr heraus, die für ihn da war, entstand so eine Spielwut: Ich lass‘ mir nicht das Leben nehmen, ich lasse mir nicht die Euphorie nehmen, ich nehme mir das alles selbst. Er ist ein Spieler und wahnsinnig charmant dabei. Und er schafft es, die Leute um sich zu scharen, und er ist und war von Anfang an skrupellos. Seine Mutter hat über ihn gesagt: Rolf würde über Leichen gehen. Das ist kein Charakter wie Stella, wo der Weg erzählt wird, was sie zu einem skrupellosen Menschen hat werden lassen. Rolf ist es einfach von Anfang an. Der ist wahnsinnig hart und fies und das mit einer so lächelnden Fratze.

Wie gehen Sie das an, so eine Figur zu spielen? Rein technisch, oder suchen Sie nach ihr in sich selbst?

Ich denke schon, dass das immer auch mit mir zu tun hat, oder dass es Anknüpfungspunkte gibt. Ich kenne beispielsweise diese Spielwut. Die kommt bei mir aus einem anderen Bedürfnis heraus, aber es gibt sie. Damit konnte ich mich verbinden. Auch damit, dass man leben will, egal wie schwer es gerade um einen herum ist, und, dass man sich das nicht nehmen lassen will. Das sind schon alles in Ansätzen Gefühle, die man kennt und auch versteht. Die muss man nur sehr stark intensivieren und nicht bewerten, was man da macht.

Wenn der Rolf in der Zelle innerhalb kürzester Zeit sagt, er kenne so und so viele Juden, die sich versteckt haben und er gebe sie ihnen alle, dann überlegt man sich ja nicht, wie würde ich als Jannis diese Entscheidung treffen, sondern es ist eigentlich die Übersetzung von: Hol‘ mich hier raus, ich will am Leben bleiben!

In „Je suis Karl“ haben Sie auch einen Typen zwischen Bösewicht und Verführer gespielt. Sind diese Rollen die spannendsten?

Beide Figuren sind zwar unterschiedlich, aber undurchschaubar und weit weg von einem selbst. Und das finde ich schon spannend, wenn man nicht alles nachvollziehen kann. Man bekommt eine Energie mit, die wahnsinnig stark ist und die etwas mit einem macht, aber man kann nicht genau sagen, was, oder was das Ziel ist. Ich finde es immer gut, wenn man das nicht genau weiß, weil so ist es auch oft im Leben.

Es gibt deutschsprachige Schauspieler, die Angst haben, immer als Nazis oder Rechte besetzt zu werden. Haben Sie auch so eine Furcht, in dieser Schublade zu landen?

Ich habe mir von Anfang an vorgenommen, unterschiedlichste Sachen zu machen. Was ich jetzt gerade merke, ist, dass ich wirklich viel historische Sachen gemacht habe, und, dass ich zum Beispiel mal wieder eine Geschichte miterzählen wollen würde, die in unserer Zeit spielt und sich mit anderen Themen beschäftigt. Natürlich ist man immer ein bestimmter Typ, und natürlich ist es so, dass wenn man so etwas wie „Je suis Karl“ gemacht hat, ein Film, den viele gesehen haben — dann wird man noch mal mehr als dieser Typ wahrgenommen. Da muss man selbst gucken, dass man da mit anderen Rollen wieder ein bisschen dagegen geht. Das war jetzt bei Rolf nicht so, aber dann kommt Siegfried in „Hagen“. Und etwas, das ich dieses Jahr machen werde, was etwas ganz anderes ist. Aber Sie haben recht, man muss da auf jeden Fall ein Auge draufhaben.

Gerade bei internationalen Produktionen wird ja bei deutschen und österreichischen Darstellern oft auf dieses Klischee zurückgegriffen. Zieht es Sie karrieretechnisch auf die internationale Bühne?

Nicht zwingend, weil ich nicht international machen will, nur weil es international ist. Ich will schon gucken, dass ich nur die Projekte mache, die ich wirklich spannend finde. Das bedeutet für mich als Deutschen und nicht Native-Speaker auch, dass es oft die Nazi-Rollen sind. Aber ich arbeite viel am Akzent. Zwei Produktionen habe ich jetzt gemacht, die wirklich spannend waren, und jetzt kommt tatsächlich ‚ne Nazi-Rolle in „The New Look“ mit Juliette Binoche auf Apple. Trotzdem war das ganz toll, ein Dreh mit Juliette Binoche.

Sie kommen aus einer Theaterfamilie, haben ganz früh mit dem Drehen begonnen. Gab es je einen Plan B?

Ne, es gab eher ganz lange das Gefühl, dass ich das nicht richtig als Beruf machen werde können. Komischerweise habe ich aber auch nie über einen Plan B nachgedacht. Was es gab, war die Vorstellung, dass Schreinern auch ‘was Schönes ist. Aber das ist eine rein romantische Vorstellung, glaube ich. Aber es war immer klar, dass das, was ich machen möchte, mit einer Art Geschichtenerzählen zu tun haben muss.

Gibt es im Schauspielerdasein eigentlich etwas, das Sie gar nicht leiden können?

Das eigentlich Offensichtliche, würde ich sagen. Das, wonach sich andere Leute vielleicht sehnen. Das Unbeständige, das in unterschiedliche Welten schlüpfen, mit unterschiedlichen Menschen zusammensein, das viele Reisen. Das ist so schön, wie es auch nervig ist. Weil es eben keinen Alltag gibt, keine Beständigkeit. Es ist nicht so, dass ich es mir deshalb nicht wünschen würde. Ich mag es auch total, es ist beides.

In „München“ haben Sie mit Sandra Hüller zusammengearbeitet, die bald einen Oscar in den Händen halten könnte. Wünschen Sie sich das auch: Ihren Namen am Ende des Satzes „And the Oscar goes to …“ zu hören?

Bevor ich das nennen würde, kämen noch viele andere Dinge. Mit bestimmten Regiseurinnen, Regisseuren, Schauspielerinnen und Schauspielern zusammenzuarbeiten, bestimmte Arten von Filmen machen zu können, denn das ist ja der Grund, weshalb wir das machen, was wir machen. Aber ich drücke ihr die Daumen!

Sie haben schon erwähnt, dass Sie Siegfried spielen werden. Was ist das genau für ein Projekt?

„Hagen“, also die Nibelungensage, das wird ein Kinofilm und dann eine Serie, eine Fantasy-, Mittelalter-Geschichte. Zuerst kommt der Kinofilm und danach die Serie. Das Projekt ist von den zwei Jungs, die „Der Pass“ gemacht haben, Cyrill Boss und Phillipp Stenner. Ich denke, das wird sehr spannend und im Mittelpunkt steht nicht Siegfried, sondern eben sein Gegenspieler Hagen. Die Rolle des Siegfried wird dabei ganz neu gedacht, er ist nicht mehr der strahlende gute Held, sondern er ist der Antagonist, vor dem man sich vielleicht teilweise sogar ein bisschen ekelt, so ein unangenehmer Charakter auch.

Von Mariella Moshammer

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