Karlo läuft, aber es läuft nicht

Österreichische Erstaufführung „Jenny Jannowitz“ in der Studiobühne

NilsThomas als Karlo
NilsThomas als Karlo © Petra Moser

Karlo hetzt durch die Zeit und die Welt. Der junge Programmierer ist aufgewacht und hat feststellen müssen, dass er den ganzen Winter verschlafen hat. Und alles ist jetzt anders.

Da ist Flexibilität gefordert. Am Freitag feierte in der Studiobühne des Linzer Landestheaters das Stück „Jenny Jannowitz“ von Michael Decar seine österreichische Erstaufführung.

Ein humorvoller, schräger, aber auch entlarvender Blick auf unsere Gesellschaft. Sechs Schauspieler der 3. Klasse des Schauspielstudios des Landestheaters und Regisseurin Anna Marboe ziehen dafür rasend schnell alle Register.

Musikalische Anker in einer unruhigen Zeit

Die Tragikomödie legt zuerst das Gewicht auf den zweiten Wortteil. Die Darsteller steigen mit einer köstlich inszenierten Playbacknummer ins Geschehen ein. Überhaupt begleiten Songs die gesamten kurzweiligen 90 Minuten.

Mal live gesungen, mal gekonnte Lippenbewegungen, bieten sie nicht nur Zeit zum Aufatmen in der Hektik der Handlung — oder zeitgemäß besser gesagt, der Abfolge von „Einzelevents“ —, sondern sind auch ein stimmiger, emotionaler Kommentar dazu: von „I Can´t Stand It Any More“ von Velvet Underground über „What´s Up“ von den 4 Non Blondes bis „Im Beginning To See The Light“ von Ella Fitzgerald. Anna Marboe ist auch Musikerin und versteht Musik „in einer unruhigen Zeit als Anker“.

Karlos Chef Doktor Pappeldorn (köstlich: Kaspar Simonischek) ist ganz plötzlich superfreundlich, sein Freund Oliver (Patrick Ljuboja) hat keine Zeit mehr für ihn und ist äußerst erfolgreich — schließlich kann er „global denken“. Und Karlos Freundin (Gemma Vannuzzi) — wie heißt sie eigentlich? — weiß auch nicht so genau, wann sie sich das letzte Mal gesehen haben. Aber schließlich solle eine Beziehung keine Belastung sein, sagt sie. Karlo läuft allem ständig hinterher, Verwirrung und Verzweiflung wachsen.

Zum Glück taucht immer wieder eine gewisse Jenny Jannowitz (einprägsam: Leonie Jacobs) auf. Die hat eine Landkarte und kennt sich mit Geschichte aus. Die Figur, die Decar in seinem Text als Engel des Todes beschreibt, wird in der Betrachtung von Regisseurin Marboe zur Begleiterin, die Karlo zuhört, ihm Trost spendet und den Wert des Lebens bewusst macht.

Ansprechende Leistung eines jungen Teams

Die Bühne (Helene Payrhuber) ist treffend eingerichtet mit überdimensionalen Sinnesorganen — Motto unserer Zeit: Nur ja nix verpassen! — und einem Vorhang auf einer kreisrunden Schiene, der eine eigene Welt einhüllt oder jemanden wie Karlo eben draußen stehen lässt. Denn das ist, so auch seine Erfahrung, nicht seine Welt.

Den jungen Schauspielern von der Bruckneruni gebührt ein Pauschallob für ihre Leistungen. Sie lassen sich begeistert und spürbar als großartiges Team auf alles ein und liefern: schnelle Szenen, Gesang im Chor oder solo, Komisches wie Tragisches, körperlichen Einsatz, Performances. Herausragend Nils Thomas als Karlo, der alles in Bewegung setzt, um zu genügen, und dessen Verzweiflung spürbar ist, wenn er dieses Lebens nach und nach müde wird, in dem Beziehungen auf der Strecke bleiben, kurze, schnell wieder vergessene Episoden prägende Erfahrungen ablösen und man sich nicht mehr austauscht, ja austauschbar wird. Empfehlung, speziell für hektisches junges Publikum.

Hörtipp aus dem Stück: das sehr eindringlich dargebotene „Liebes Leben“ von Käptn Peng & Die Tentakel von Delphi. „Billiarden Jahre später habm wir den Salat“, heißt es da.

Von Melanie Wagenhofer