Kentridge ließ beim ImPulsTanz sein Narrenschiff vom Stapel

Auf diesem Narrenschiff gibt es weit mehr als Maskerade und Tanz © APA/ImPulsTanz/Stella Olivier

Es ist höchste Zeit: Krieg zieht auf und eine Gruppe von Flüchtenden sucht ihr Heil an Bord eines Schiffs, das den Atlantik überqueren soll. Können sie damit die Gefahren wirklich abschütteln? Nein, denn William Kentridge konfrontiert seine illustre Figurenschar in „The Great Yes, The Great No“ mit Fragen über Migration, Kolonialismus und Hoffnung. Das von allen Kunstsparten zehrende Werk wurde Dienstagabend im Rahmen von ImPulsTanz im Wiener Burgtheater gezeigt und bejubelt.

Der südafrikanische Künstler nutzt für seine neue, jüngst in Arles uraufgeführte Arbeit das Motiv des Narrenschiffs, das dem Publikum einen Spiegel vorhält. Und es hat in seinem Fall durchaus reale Züge: 1941 flüchteten etliche Intellektuelle vor dem mit den Nazis kooperierenden Vichy-Regime auf dem Seeweg von Marseille nach Martinique, darunter Schriftstellerin Anna Seghers, Surrealist André Breton oder Anthropologe Claude Lévi-Strauss. Damit nicht genug, lässt Kentridge weitere Charaktere auftauchen wie das Ehepaar Aimé und Suzanne Césaire, Tänzerin Josephine Baker oder Napoleon-Gattin Joséphine Bonaparte. Und der Kapitän? Wer würde für dieses philosophische wie gesellschaftskritische Vabanquespiel besser passen als Charon höchstpersönlich, der Fährmann der griechischen Unterwelt.

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Was nach einem aufwendigen Figurentanz klingt, gelingt mit teils einfachsten Mitteln: In schwarz-weiß gehaltene Masken der Protagonisten ermöglichen es dem spielfreudigen Ensemble, innerhalb weniger Momente die Gesichter zu tauschen und somit die Perspektiven zu wechseln. Der Rest hat mit Simplizität aber natürlich wenig zu tun, denn dafür gibt es zu viele Bezüge und Schauwerte in den knapp eineinhalb Stunden. Nicht zuletzt die zwischen Chanson und Folklore changierende Live-Musik und der durch die unterschiedlichsten Sprachen im wahrsten Sinne des Wortes vielstimmige Chor von sieben Frauen evozieren eine gewisse Melancholie, obgleich die Welt am Abgrund steht.

Denn wie formuliert es Charon so treffend? Alles findet sein Ende, sofern die Bezahlung stimmt. Ihm obliegt es als Erzähler durch die mittels allerlei Projektionen kontextualisierten Geschichten der Personen zu führen. So wie die stilistische Ausrichtung von „The Great Yes, The Great No“ selbst ist dabei eine klare Einordnung nicht immer möglich, letzten Endes eigentlich auch unnötig. Vielmehr setzt Kentridge mit seinem Team auf einzelne Textausschnitte seiner unzähligen Vorlagen und montiert diese in Verbindung mit Musik, Bewegung und visueller Finesse (das digitale Bühnenbild spielt alle Stückerln) zu einer Collage, die durchaus schwindelerregenden Charakter besitzt.

Die Hoffnung, dass es eines Tages besser wird, könne man ohnehin gleich begraben, weiß Charon zu erzählen. Und doch schimmert in den Gesängen und Erzählungen immer wieder eine Spur Hoffnung durch. Vor allem aber geht es um die Selbstbestimmtheit jener Menschen, die durch Unterdrückung alles verloren haben. Die wenigen humorvollen Momente, wenn etwa ein gedoppelter Breton zur Slapstick-Einlage ansetzt, lockern diese Schiffsfahrt zwar auf. Ganz ohne moralische Seekrankheit wird sie aber wohl niemand überstehen. Großer Applaus für alle Beteiligten – selbst wenn der Tanz mit der Lupe zu suchen war.

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(Von Christoph Griessner/APA)

ImPulsTanz: William Kentridge, „The Great Yes, The Great No“, Konzept und Regie: William Kentridge. Performance: Xolisile Bongwana, Hamilton Dhlamini, William Harding, Tony Miyambo, Nancy Nkusi und Luc de Wit. Tanz: Thulani Chauke, Teresa Phuti Mojela. Choreografie: Thulani Chauke und Teresa Phuti Mojela. Musikalische Leitung: Tlale Makhene. Kostüme: Greta Goiris. Bühnenbild: Sabine Theunissen. Burgtheater, Universitätsring 2, 1010 Wien. Weitere Termine am 18.7. um 19.00 Uhr und am 19.7. um 21.00 Uhr; Infos und Tickets unter impulstanz.com

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