KHM-Chefin Haag: „All-Time-High’“ bei Erlösen zum Abschied

Sabine Haag wird bald ihren Schreibtisch räumen © APA/EVA MANHART

Im Jänner 2009 eröffnete Sabine Haag ihre Amtszeit als Generaldirektorin des Kunsthistorischen Museums (KHM) mit einem Open House. Nach 16 Jahren an der Spitze des KHM-Museumsverbands verabschiedet sie sich am 10. Dezember mit einem Open Evening von den Besucherinnen und Besuchern, bei dem sich auch ihre Lieblingsobjekte im Haus entdecken lassen. Mit Jahreswechsel übergibt sie ihr Amt an Jonathan Fine. Ein Abschiedsinterview mit Blicken zurück und nach vorne.

APA: Sie erleben gerade den zweiten Abschied von Ihrer Funktion. Sie hatten sich 2017 bis 2019 bereits innerlich verabschiedet von Ihrem Job. Wie geht es Ihnen beim Abschiednehmen heute im Vergleich zu damals?

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Sabine Haag: Dieses „italienische Intermezzo“, wie ich es immer nenne, habe ich schon längst hinter mir gelassen. Umso mehr beschäftige ich mich jetzt mit dem endgültigen Abschied. Ich möchte einen guten Abschied machen, für das Haus, die Kollegenschaft und nicht zuletzt für mich selbst. Es wird auch ein Abschied von meiner Museumslaufbahn, die ich seit 1990 verfolgt habe. So gesehen bereite ich mich auf den Abschluss einer wichtigen Lebensphase vor.

APA: Das klingt nach Pension?

Haag: Nein. Ich werde mich jetzt neuen Aufgaben zuwenden können, die mit meiner Position bisher nicht vereinbar waren. Ich werde mich immer mit Kunst beschäftigen, das ist etwas, was mein Leben bestimmt hat und immer noch bestimmt. Das wird so bleiben. Es sind Menschen an mich herangetreten, ob ich dieses oder jenes Projekt übernehmen möchte, ich werde ein, zwei private Sammlungen betreuen können, ich werde ein bisschen publizieren. Und ich habe noch ein paar Mandate in Aufsichtsgremien, wie Präsidentin der österreichischen UNESCO-Kommission, die ich weiter wahrnehmen werden.

Dritte Amtsperiode „von der Pandemie geprägt“

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APA: Was ist Ihnen in Ihrer „Schlussrunde“ noch gelungen – und was müssen Sie von Ihren Vorhaben Ihrem Nachfolger Jonathan Fine hinterlassen?

Haag: Meine dritte Amtsperiode war von der Pandemie geprägt. Da würde ich mit Stolz und Erleichterung sagen, dass es uns gelungen ist, unseren Verband gut durch diese schwierige Periode durchzubringen – ohne, dass wir Mitarbeiter verlieren mussten. Und ich konnte in meinem letzten Jahr noch unser Bauprojekt auf den Weg bringen, den barrierefreien Eingang am Maria-Theresien-Platz und die Verbesserung der Gästeinfrastruktur.

APA: Die große, längst überfällige Renovierung, die Sie zu Beginn Ihrer dritten Amtsperiode urgiert haben, ist das aber nicht.

Haag: Wir haben ein modulares System entwickelt, um den Standort Maria-Theresien-Platz attraktivieren zu können – bei absoluter Beachtung der Integrität des Gebäudes. Wir können jetzt das erste Modul umsetzen und hoffen natürlich, dass dann weitere Finanzierungsschritte erfolgen werden, um das Haus zeitgemäß weiterentwickeln zu können.

Schaffung von Sonderausstellungsflächen notwendig

APA: Was wurde aus dem geplanten Ausbau der ehemaligen Sekundärgalerie und der Schaffung zeitgemäßer Sonderausstellungsräume? Ist das nicht ein absolutes Desiderat?

Haag: Dieses Desiderat bleibt natürlich bestehen – insbesondere die Sonderausstellungsflächen. Dieses Format war im späten 19. Jahrhundert, als es darum ging, die Sammlungen dem Publikum zugänglich zu machen, noch nicht bekannt und ist heute wichtig, um zusätzliche Publica und Einnahmen zu generieren. Das wäre meines Erachtens das Modul 2 – die Entscheidung über die Dringlichkeit der einzelnen Module wird aber bei der künftigen Geschäftsführung liegen.

APA: Besonders auffällig wurde dieses Defizit wieder bei jener Ausstellung, die Sie als Ihr „Abschiedsgeschenk“ bezeichnet haben, bei „Rembrandt – Hoogstraten“.

Haag: Natürlich wäre es wünschenswert, eigene Flächen dafür zu haben – aber nur aus den eigenen Mitteln ist das nicht zu stemmen. Leider ist uns die Pandemie dazwischengekommen. Da mussten wir uns auf andere Themen und Projekte fokussieren – und da standen die Sonderausstellungsflächen wirklich nicht im Vordergrund.

APA: Neue Flächen erhält Ihr Haus in der Neuen Burg durch den Auszug des hdgö. Die dort vermieteten Räume hat das KHM ja zuvor baulich ertüchtigt, um das lykische Fries des „Heroon von Trysa“ dort zu zeigen. Bleibt’s dabei?

Haag: Diese Pläne bestehen unverändert. Das Projekt ist zur Umsetzung vorbereitet. Zuvor müssen wir jedoch den Auszug des „Haus der Geschichte“ abwarten. Der wird spätestens zum 1.1.2028 passieren.

An Neuaufstellung der Schatzkammer gescheitert

APA: Auch die Neuaufstellung der Schatzkammer hatten Sie sich vorgenommen …

Haag: Ich gestehe freimütig ein, dass es mir leid tut, dass ich dieses Projekt nicht einmal in den Ansätzen umsetzen konnte. Das war eine Entscheidung, die in der „Intermezzo-Zeit“ getroffen wurde. Wir hatten damals mehrere Projekte aufbereitet. Das von mir favorisierte Projekt war die Schatzkammer. Eike Schmidt und Paul Frey haben sich aber für die Ertüchtigung des Eingangs am Maria-Theresien-Platz entschieden. Das wurde auch vom Kuratorium gut angenommen – und ist deswegen weiterverfolgt worden. Als ich dann zu aller Überraschung noch eine weitere Geschäftsführungsperiode anhängen durfte, waren dafür die Weichen schon gestellt.

APA: Verglichen mit anderen Museen mit weltberühmten Sammlungen wie dem Louvre oder dem Prado hat das KHM nur einen Bruchteil der Besucherzahlen. Woran liegt das?

Haag: Ich möchte mich da dem Tiefstapeln nicht anschließen. Wir werden heuer mit dem KHM-Museumsverband bei knapp unter zwei Millionen Besuche zu liegen kommen, wir werden erlösmäßig ein All-Time-High erreichen können. Ihr Vergleich hinkt. Natürlich zählen unsere Sammlungen zu den weltbesten ihrer Art, aber wir sind dann im Verhältnis zum Louvre, zu Washington oder den Berliner Museen ein relativ kleines Haus. Auch Wien als Touristenstadt kann sich nicht mit London, Paris oder New York messen. Natürlich wünscht sich jeder Museumsdirektor mehr – und das gilt wohl auch für den Eigentümervertreter -, aber letzten Endes geht es auch um den Wohlfühlfaktor für den Besucher.

In manchen Bereichen nicht die „größte Besucherbeliebtheit“

APA: Also sind Sie eigentlich froh, dass nicht die Massen kommen?

Haag: Unser Haus ist schlichtweg nicht für Besuchermassen gemacht. Auch deswegen schaffen wir nun eine verbesserte Gästeinfrastruktur – damit niemand draußen in der Warteschlange ausharren muss. Wir versuchen, weiter ein interessantes Programm zu gestalten, aber man muss auch sagen: Wir sind und bleiben ein Altmeisterhaus, ein Haus der historischen Kunst, das sich in manchen Bereichen nicht der größten Besucherbeliebtheit erfreut. Weltweit überlagert der Trend zur modernen, zur zeitgenössischen die Attraktivität der historischen Kunst. Und bei den historischen Beständen scheint es doch so zu sein, dass Klimt beliebter ist als Bruegel. Das muss man zur Kenntnis nehmen. Ich gehe aber davon aus, dass auch hier der Trend einmal umschlagen wird.

APA: Unter Jasper Sharp gab es einen starken Dialog der Sammlung mit moderner Kunst. Er ist 2021 ausgeschieden. Bis auf eine Baselitz-Ausstellung ist dann wenig nachgelegt worden. Warum?

Haag: Das ist der Pandemie geschuldet. Wir mussten unser Budget retten und den Museumsbetrieb so gut wie möglich durch diese Zeit bringen. Ich hoffe sehr, dass mein Nachfolger die Modern und Contemporary Schiene wieder aufgreifen wird, denn es waren tatsächlich besondere Erfolge für das Haus dadurch zu verzeichnen.

„Ich würde Ihnen da gerne widersprechen“

APA: In Wien hat das KHM an Terrain gegenüber der Konkurrenz verloren. Die Albertina hat einen unglaublichen Expansionskurs gefahren, das Belvedere hat mit Klimt und Co enorme Besuchersteigerungen erzielt und bekommt nun eine großzügige neue, unterirdische Eingangssituation. Das letzte Mal, dass über das KHM überall gesprochen wurde, war anlässlich der Eröffnung der Kunstkammer.

Haag: Ich würde Ihnen da gerne widersprechen, dass 2013 die letzte große Strahlkraft des Kunsthistorischen Museums war. Wir strahlen gerade jetzt besonders stark mit unserer Sonderausstellung zu Rembrandt und Hoogstraten und hatten auch in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von wunderbaren Sonderausstellungen gehabt. Das ist nicht immer eine Frage der Größe. So haben wir etwa im Vorjahr mit „In Love with Laura“ rund um eine Marmorbüste in der Kunstkammer zeigen können, dass man auch in eineinhalb Räumen eine spannende Geschichte erzählen kann. Zu den Erfolgen meiner Amtszeit zähle ich auch viele großartige Ausstellungen mit wissenschaftlichem Mehrwert – und unsere wissenschaftliche Forschung wie unser großes „Crown“-Projekt zur Reichskrone (zu dem es am 19. Dezember um 21.05 Uhr in ORF 2 eine TV-Doku geben wird, Anm.).

APA: Sie sind hier 2009 angetreten. Die Welt war damals eine andere. Wie weit haben diese gesellschaftliche und politischen Veränderungen auch Ihre Arbeit verändert?

Haag: Natürlich hat sich dadurch, dass sich die Welt verändert hat, auch die Museumswelt verändert. Wir versuchen dem Rechnung zu tragen. Museen sind Orte der Begegnung, der Auseinandersetzung, der Relevanz – und so gestalten wir auch unser Programm. Wir befragen daher unsere Alten Meister nach den Themen der Zeit. Es geht letztlich immer um die Conditio humana, Krieg und Frieden, Gewalt und Liebe, Treue und Religion, Natur und Klima – all‘ das finden Sie in der Kunst in allen Zeiten abgebildet – und all‘ das sind Fragen, die uns auch heute beschäftigen. Das ist eine Herausforderung für uns alle – von der Budgetierung über die Programmierung bis zur Kunstvermittlung. Den beschrittenen Weg der Inklusion, der Niederschwelligkeit müssen wir konsequent weitergehen.

Kunst und Kultur werden vom Sparzwang „nicht unberührt bleiben“

APA: Autoritäre Regime bringen die Kulturschaffenden in unseren Nachbarländern zunehmend unter Druck. Die FPÖ eilt in Österreich derzeit von Wahlerfolg zu Wahlerfolg. Was wird diese Entwicklung für die Kulturpolitik hierzulande bedeuten?

Haag: Bei den vergangenen Regierungsbildungen war es nie so, dass Kunst und Kultur zu den dominierenden Themen gehört haben. Das wird diesmal wohl nicht anders sein. Die Kulturschaffenden und die Institutionen stehen jedenfalls bereit, sich hier einzubringen. Wir können nur appellieren, die Bedeutung von Kunst und Kultur für eine gelingende Gesellschaft anzuerkennen. Aber ich gebe unumwunden zu: Natürlich müssen sich auch Kunst- und Kulturinstitutionen damit auseinandersetzen, ob sie für die tatsächlichen Bedürfnisse der Bevölkerung die richtigen Angebote legen. Wenn für die Budgetkonsolidierung gespart werden muss, wird das auch am Kunst- und Kultursektor nicht vorbeigehen können. Es wäre blauäugig zu glauben, dass Kunst und Kultur davon unberührt bleiben. Es geht darum, diese Herausforderungen anzunehmen.

APA: Die FPÖ betont in ihrem Kulturansatz immer wieder die Bedeutung von Volkskultur und den abendländischen Werten und Traditionen. Das müsste doch einem Museum der Alten Meister in die Hände spielen?

Haag: Volkskultur ist wichtig, ist Teil unserer kulturellen Identität, umfasst aber nicht alles. Ich vertraue stark darauf, dass man Kraft und Bedeutung von Vielfalt, Reichtum und Internationalität, die insbesondere in den österreichischen Bundesmuseen vorhanden sind, nicht kleinreden und damit den Kulturbegriff verengen wird.

APA: Ein Schlusssatz zum Abschied: Wie ließe sich Ihre Zeit hier am Museum zusammenfassen?

Haag: Für mich persönlich waren es wunderbare Jahre, reiche Jahre, reich an Erfahrung, an Glücksmomenten, an Begegnungen vor Ort und international; für die Institution blicke ich mit Dankbarkeit zurück, dass in meiner 16-jährigen Amtszeit das Museum an Strahlkraft und Relevanz gewonnen hat; wir haben uns geöffnet, wir sind jünger geworden und haben auch in schwierigen Zeiten die Fahne hoch gehalten und Freude vermittelt.

(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)

„Museum für alle. Ein Open Evening zum Abschied von Sabine Haag“, 10. Dezember, 19 Uhr, Eintritt frei