Kinderbücher: KI macht auf Geschlechterklischees aufmerksam

Zur Hausarbeit verdonnert: Aschenputtel © wikipedia/Walther Zweigle

Geschlechterklischees machen bekanntermaßen auch vor Kinderliteratur nicht Halt. Wiener Forscherinnen haben nun eine Künstliche Intelligenz (KI) trainiert, die anhand konkreter Kriterien bewertet, wie gleichberechtigt oder verzerrt Geschlechterdarstellungen in Kinderbüchern sind. Das soll Eltern, Pädagogen und Verlage künftig eine Orientierungshilfe bieten.

„Das Ziel ist nicht, Bücher zu canceln, sondern für mehr Bewusstsein zu sorgen“, erklärte Laura Vana-Gür von der Technischen Universität (TU) Wien im Gespräch mit der APA. Sie hat zusammen mit Camilla Damian, die während der Projektlaufzeit ebenfalls an der TU Wien tätig war, einen Prototyp entwickelt, dessen Ziel es ist, jedem Buch einen transparenten Gender-Score zwischen 0 und 1 zuzuweisen. Je näher bei eins, desto problematischer werden die Repräsentationen von Geschlecht in dem jeweiligen Kinderbuch eingeschätzt.

Lesen Sie auch

Vorangegangen war dem eine Auswertung soziologischer, psychologischer und pädagogischer Forschungsarbeiten, um Faktoren zu eruieren, die konkret mit Gender-Bias – also der Verzerrung aufgrund des Geschlechts – in Verbindung gebracht werden können. Welche Berufe haben die Figuren? Welche Aussagen über Aussehen, Intelligenz, Freundlichkeit oder Aggressivität finden sich und wie sind die Hauptdarsteller mit den Nebenfiguren vernetzt? All dies sei in die Analyse eingeflossen, so Vana-Gür.

Durch die systematische Herangehensweise und das „Feintuning“ im Vorfeld sei es möglich gewesen, die Algorithmen zu trainieren, um so wenig Vorurteile wie möglich zu übernehmen. „Wir haben nicht mit Blackbox-Methoden auf Texte gezielt, sondern uns angesehen, was es in der Literatur bereits gibt, und versucht, das unter Beachtung der Kriterien zu automatisieren. Wir müssen am Schluss wissen, was wir gemessen haben. Die Ergebnisse sollen transparent und nachvollziehbar sein“, sagte die Statistikerin.

Getestet wurde das Messverfahren an rund 30 älteren Kinderbüchern – vor allem an klassischen Werken wie „Alice im Wunderland“, „Cinderella“, „Aladin und die Wunderlampe“, „Rapunzel“ oder „Hänsel und Gretel“, die nicht mehr dem Urheberrecht unterliegen und damit frei zugänglich sind. Nun gehe es darum, das Modell noch zu verfeinern und an zusätzlichen Datenbanken für Kinderliteratur zu optimieren.

„Unsere Hoffnung wäre schon, dass wir damit einen Einfluss auf die Entscheidung der Eltern haben“, so Vana-Gür. Vorstellbar sei auch, dieses Werkzeug Verlegern anzubieten, damit diese den Autoren vor einer Veröffentlichung entsprechendes Feedback zu ihren Manuskripten geben können. Eine Kennzeichnung nur mit Ampelfarben sei nicht zielführend, weil klar sein müsse, auf welchen Kriterien die Einstufung basiere. „Somit kann jeder selbst entscheiden, ob das wichtig ist oder nicht“, erklärte die Forscherin.

An neueren Kinderbüchern wurde der Prototyp – auch im Hinblick auf Urheberrechte – nicht getestet. Aus Studien sei aber bekannt, dass es hier noch immer problematische Darstellungen gebe. „Das Thema ist demnach, auch wenn es vielleicht leichte Verbesserungen bei der Darstellung der Charaktere gegeben hat, nicht vom Tisch“, sagte Vana-Gür, die nichts dagegen hätte, wenn künftig weniger Geschichten über zauberhafte Prinzessinnen und mutige Helden gelesen würden.

Das könnte Sie auch interessieren