„Kinds of Kindness“: Lanthimos im Rückwärtsgang hoch 3

Erfolgsregisseur kehrt mit Starensemble um Emma Stone und Jesse Plemons wieder zu seinen frühen Werken zurück und legt erratischen Episodenfilm mit Längen vor

Griechenlands Starregisseur Giorgos Lanthimos hatte zuletzt mit den oscargewürdigten Erfolgswerken „The Favourite“ und dem visuellen Spektakel „Poor Things“ mainstreamtauglichere Arbeiten vorgelegt. Mit dem Episodenfilm „Kinds of Kindness“ kehrt der 50-jährige Avantgardist nun aber gleichsam zum Spirit seiner früheren Arbeiten zurück. In drei Kapiteln erzählt er erratisch von Obsessionen, Opferungen und Omi.

Leistungsschau der Darsteller

Wie schon in den beiden vorherigen Arbeiten hat Lanthimos dabei wieder mit Hollywoodstar Emma Stone kooperiert, wobei sich ihr wie in „Poor Things“ Willem Dafoe beigesellt. Neu an Bord ist indes mit Jesse Plemons, eines der außergewöhnlichen Durchschnittsgesichter des US-Kinos. Der 36-Jährige wurde für seine Rolle – oder besser gesagt Rollen – in Cannes mit dem Darstellerpreis geehrt. Und durchaus zu Recht, spielt er wie das gesamte Ensemble doch gänzlich unterschiedliche Charaktere im Reigen von „Kinds of Kindness“. Gleich bleiben die Akteure, die Wandlung obliegt ihren Figuren. Entsprechend ist der Film abermals zuvorderst eine Leistungsschau der Darsteller.

Alternative Realitäten

Mit dieser Gruppe an Schauspielern erzählt Lanthimos, der auch als Mitautor des Drehbuchs fungierte, drei vordergründig unabhängige Parabeln von Macht und Unterwerfung, von Obsession und dem freien Willen. Dabei zeigt sich wieder die ungewöhnliche Fähigkeit des Filmmagiers, seine Geschichten in leichten Verschiebungen der Realität zu erzählen, Surrealismus leichthändig in Naturalismus einzuflechten. Lanthimos interessiert sich nicht für Individualpsychologie, sondern erzählt alternative Realitäten, entwirft alternative Fakten. Es sind Welten, deren Gesetze sich mit der unseren oftmals decken, und die in sich doch nach gänzlich anderen Parametern funktionieren.

Metapher auf die Fremdbestimmung des Menschen

Im ersten Kapitel spielt Plemons Robert, der gleichsam Sklave seines Chefs (Dafoe) ist, der bis in die intimsten Verwerfungen des Privatlebens hinein das Sein bestimmt. Als er eines Tages Robert jedoch zum Mörder machen möchte, verweigert der sich und löst damit einen Strudel in den Abgrund aus. Inszeniert ist diese Metapher auf die Fremdbestimmung des Menschen in aseptischen Räumen, in denen die Personen wie Einrichtungsgegenstände wirken.

Episode 2 hingegen verwendet zunächst das altbekannte Filmmotiv einer verschwundenen Person, die zurückkehrt, jedoch nicht mehr dieselbe zu sein scheint. So bezweifelt Polizist Daniel (Plemons), dass seine auf einem Forschungstrip verschollene Liz (Stone) wirklich seine Ehefrau ist und treibt sie zum Beweis des Gegenteils zum Äußersten. Das vermeintlich tradierte Motiv des Wiedergängers wendet Lanthimos auf links und zeigt dies bisweilen in extremen Nahaufnahmen.

In Teil drei schließlich verkörpern Stone und Plemons die Sektenmitglieder Emily und Andrew. Sie suchen für ihren Guru Omi (Dafoe) eine Erlöserin, die die Toten wiedererwecken kann. Doch die ist nicht leicht gefunden und noch schwerer zu behalten.

Gesamte Klaviatur der optischen Bildsprache

Lanthimos spielt in „Kinds of Kindness“ auf der gesamten Klaviatur der optischen Bildsprache zwischen extremer Nähe und Panoramen, Fahrten und statischen Einstellungen. Dabei scheut er sich erneut nicht vor relativ expliziter Schilderung sexueller oder ungustiöser Inhalte. Auch die Filmmusik, die wie beim Vorgänger von Jerskin Fendrix stammt, erspielt sich zwischen Klavier und Chorälen eine ostentative Rolle.

Positiv formuliert, lässt sich Lanthimos nicht hetzen in seiner Erzählung, auch wenn er in seinem knapp dreistündigen Werk letztlich drei Filme in einem erzählt. Negativer formuliert hat das Ganze aber durchaus seine Längen. Vielleicht hätte der Fokus auf eine der Mikometaphern der Gesamtanmutung gutgetan. Kind formuliert.

Von Martin Fichter-Wöß

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