Koležnik zelebriert im Akademietheater die Gewalt der Enge

Maertens und Koch brillieren als kaputtes Brüderpaar © APA/Burgtheater/Matthias Horn

Die Enge eines Dorfes spiegelt sich in der Enge eines Haushalts: Mit „Der einsame Westen“ hat der irische Dramatiker und Filmemacher Martin McDonagh (53) Ende der 1990er Jahre ein tragikomisches Kammerspiel über die verkorkste Beziehung zweier Brüder geschrieben, das Mateja Koležnik nun mit Michael Maertens und Roland Koch im Akademietheater mit viel Liebe für die abgehalfterten Figuren inszeniert hat. Ein bisweilen zum Brüllen komischer und sehr oft sehr trauriger Abend.

Nach der etwas zu schrill geratenen Interpretation von „Kasimir und Karoline“ in der vergangenen Spielzeit setzt die slowenische Regisseurin nun auf die Düsternis der eigenen vier Wände. Sie komme selbst aus einer kleinen Stadt, erklärt sie im Programmheft. „Dort gibt es, so würde ich sagen, keine Gesellschaft – nur eine Gemeinschaft“, weshalb sie die Welt kenne, über die McDonagh schreibt. Und die Welt im „einsamen Westen“ scheint wahrlich klein geraten: Nach dem Begräbnis des erschossenen Vaters torkeln die Brüder Valene (Maertens) und Coleman (Koch) gemeinsam mit dem Pfarrer (Itay Tiran) schwer betrunken zurück in das nun geerbte Haus, das Raimund Orfeo Voigt und Dimitrij Muraschov auf einer Drehbühne als abgewohnten 70er Jahre-Bau in Szene gesetzt haben. Braun und beige sind die dominanten Farben, einzig die von Valene gesammelten und fein säuberlich auf einem Regal platzierten Marienstatuen dürfen glänzen – bis sie wahlweise im Ofen verbrannt oder mit dem Gewehr zerschossen werden.

Im Suff entspinnen sich bald Schuldzuweisungen (unter den Brüdern) und Glaubenszweifel (beim Pfarrer), die auch vom Erscheinen der jungen Girleen (Lili Winderlich), die Nachschub an schwarz gebranntem Schnaps vorbeibringt, nicht unterbrochen werden können. Während Maertens mit blondiertem Vokuhila den unterdrückten, aber intelligenteren Bruder gibt, geht Koch in der Rolle des fiesen Widerlings auf. Der ebenso besoffene Pater unternimmt zunächst nur zögerliche Versuche, die beiden Streithähne zu trennen, doch sobald er erfährt, wie der Vater der beiden wirklich zu Tode gekommen ist und ein Selbstmord in der Kleinstadt seinen Glauben an die eigene Kompetenz als Gottesmann in Frage stellt, will er die Gemeinde verlassen – und geht nach einem rührselig-betrunkenen Monolog, den er für die beiden Brüder als letzte Botschaft auf Band aufnimmt, ins Wasser.

Der anschließende, rührend ernst gemeinte Versuch des Brüderpaars, sich doch noch zusammenzuraufen, schraubt sich in einem Pingpong an Geständnissen und Entschuldigungen schließlich zu einem dramatischen Höhepunkt, an dem sich der jahrelang aufgestaute Hass schließlich entlädt. Dabei ist es eine wahre Freude, Maertens und Koch bei der gegenseitigen emotionalen Zerfleischung zuzuschauen. Wo im ersten Teil des fast zweistündigen, pausenlosen Abends noch viel gelacht werden konnte, macht sich nun große Bedrückung breit. Dennoch nützt sich der immer gleiche Bruderzwists irgendwann auch ab. Hier hätten ein paar kräftige Striche nicht geschadet.

Lili Winderlich als nicht wirklich frommes, aber zumindest in den Pfarrer verschossenes Girlie entwickelt hingegen zu wenig Profil und geht im polternden Männertrio unter. Alle zusammen zeigen jedenfalls eindrucksvoll, wie sehr emotionale Vereinsamung an die Substanz gehen kann. Eine Gemeinschaft ist halt noch lange keine Gesellschaft. Lang anhaltender Jubel für das gesamte Team beschloss einen Abend, an dem man beim Verlassen des Theaters vor allem eins mit Freude wahrnehmen konnte: die Weite der Stadt.

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(Von Sonja Harter/APA)

„Der einsame Westen“ von Martin McDonagh im Akademietheater. Regie: Mateja Koležnik, Bühne: Raimund Orfeo Voigt und Dimitrij Muraschov, Kostüme: Ana Savić -Gecan. Mit Michael Maertens, Roland Koch, Itay Tiran und Lili Winderlich. Weitere Termine: 27. März, 2., 4., 13. und 27. April. Infos und Karten unter burgtheater.at

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