Konstantin Weckers ungezügelter Traum vom Träumen

Utopia 2.0 im Brucknerhaus: Konstantin Weckers Fantasien von einer friedlichen Welt

Gebremst vom mittlerweile 76-jährigen Leben und einer eben überstandenen Wirbelverletzung stand Konstantin Wecker am Montag auf der Bühne des Brucknerhauses.  50 Jahre Bühnendasein und schon nach dem ersten Lied ist sein treues Publikum wieder voll bei ihm. „Der Wahnsinn schleicht durch die Nacht“. Poetischer denn je liebkost er das Leben, warnt und prophezeit.

Mit „Utopia 2.0 – Wir werden weiter träumen“ knüpft der Liedermacher Konstantin Wecker an sein erstes Utopia-Programm an. Der bekennende Anarchist hat den Traum von einer herrschaftsfreien Welt nie aufgegeben. Zeit seines Lebens schmettert er pazifistische Parolen und Anarchosprüche, träumt vom Pazifismus, wettert gegen Faschismus in Überschriften, und eben Utopien.

Sanfter ist er geworden. Zum immergrünen „Wenn der Sommer nicht mehr weit ist“ brüllt er nicht mehr „und dann will ich, was ich tun will, endlich tun“, sondern sinniert leise, „genießen war noch nie ein leichtes Spiel“. Norbert Nagel am Saxofon trägt die Fantasien fort ins ganze rötliche Rom, am Cello streichelt Fany Kammerlander die Texte, und Weckers lebenslänglicher Gefährte am Klavier, Jo Barnikel, füllt die Lieder untrennbar mit seinen musikalischen Inspirationen, sensibel, einzigartig, wie hunderte Konzerte zuvor.

Überschäumen kann Wecker auch in aller Ruhe, hinter transzendenten Gedanken, oder dem wirklich stillen Lied „Und das soll dann alles gewesen sein“ drängt dennoch seine ungebrochene Kraft. „Schafft Huren, Diebe, Ketzer her“, beim Protest im Dreivierteltakt macht er dann wieder richtig Tempo. Zum Rasen bringen ihn Kriegsaktionäre, Börsenbosse, Massen im Gleichschritt mit „Krücken, die aus geschichtsvergessener Dummheit geschnitzt sind“ und meint damit Patriotismus und Nationalismus, Uniformen und Marschierer. Singt drauf sein berühmtes „Sage Nein!“, schon stampft und klatscht das Publikum im Gleichschritt mit.

Wut und Zärtlichkeit

Wut und Zärtlichkeit dringen aus allen Poren des mild gewordenen Berserkers. Nach dem Zorn kommen die zärtlichen Gedanken, der Traum von einer allumfassenden Liebe, wo jeder jeden in die Arme nimmt, um „Still zu bewahren dieses grenzenlose Wir“ und „Uns endlich unendlich zu lieben“.  Anarchismus hin oder her, der Stürmer und Dränger, Fantast und Schwärmer, krönt sich selbst kraft seiner Worte und Töne zum Herrn einer Welt voller Frieden und Liebe, die er für die Dauer seines wie immer dreistündigen Konzerts in Köpfen und Herzen entstehen lässt. „Leben ist Brücken schlagen über Ströme, die vergehen“, löst einmal wieder einen unversiegten Strom der Begeisterung aus. Die traditionelle Zugaben-Session mit den Aufspring- und Mitklatsch-Liedern: „Questa nuova realta“ und Buonanotte Fiorellino“ garantieren ihm endgültig die ewige Treue seines wie immer hingerissenen Publikums.

Von Eva Hammer

Das könnte Sie auch interessieren