Kulturhauptstadt: Schöpfungscasting im „Großen Welttheater“ in Bad Goisern

Mit „Das große Welttheater“ ist am Donnerstag die erste größere Theaterproduktion der Europäischen Kulturhauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut 2024 in Bad Goisern seit der Eröffnung über die Bühne gegangen. Das Salzburger Theater ecce hat mit Profis, Laien und Menschen mit besonderen Bedürfnissen auf Basis Pedro Calderón de la Barcas „El gran teatro del mundo“ ein Stück erarbeitet, das den Bogen von den Existenzängsten der Bauern bis zu Designerbabys spannt.

Profis agieren an der Seite von Laien

Das seit mehr als 25 Jahren bestehende freie Salzburger Theater hat sich inklusiven, partizipatorischen und theaterpädagogischen Projekten verschrieben. Dem ist man auch diesmal treu geblieben: Profis agieren an der Seite von Laien, ein Rollstuhl ist ebenso wenig ein Problem wie ein Akzent, jene mit Sprecherfahrung ziehen die ohne mit, aus dieser Spielfreude entsteht Bühnenpräsenz. Zu sehen ist das Stück noch bis 3. März in Bad Goisern und von 14. bis 17. März in Salzburg.

In Pedro Calderón de la Barcas barockem Original bekommen die Personen vom Schöpfer eine Rolle zugeteilt, die sie in der mittelalterlichen Welt zu erfüllen haben und nach der sich auch ihr eigenes Weltbild richtet – der König, der Reiche, der Bettler usw. Aufbauend auf diesen Allegorien wurden in Volkstheater-Werkstätten und Workshops heutige Rollenbilder erarbeitet. Eingeflochten wurden auch fremde Texte diverser Autoren wie Philipp Blom, Thornton Wilder, Franz Kafka oder Christoph Ransmayr.

Die Suppenkelle als Insignie der Macht

Die Bühne ist leer, es wird fast ausschließlich mit Licht und Videos des gütig – nein, auch oft spöttisch – herabblickenden Schöpfers gearbeitet, was den Menschen auf den Brettern, die in diesem Fall wirklich die Welt bedeuten, mehr Platz gibt. Einziges nennenswertes Requisit ist die Suppenkelle als Insigne der Macht des stets von zwei gefiederten Engeln umschwirrten Göttlichen. Bei ecce ist er ein Castingdirektor, der mit dem Lift von seiner Wolke herabfährt.  Um die Rollen bewerben sich bei ihm heutige Charaktere wie die selfieaffine Mediendesign-Studentin, die Bäume-Umarmerin, die Alt-Feministin, die neoliberale Erbin, der vegane Metzger, der pflegende Angehörige, der migrantische Paketbote, der an Franz Fuchs erinnernde Vermessungsbeamte, der NASA-Wissenschafter, der Aliens in der Ursuppe kochen möchte, oder der alternde Schauspieler Maxim, der davon träumt, Gilgamesh zu spielen, was er im zweiten Teil, in dem die Rollen/Schicksale dann besetzt sind, auch erreicht.

So ziemlich jedes aktuelle Thema

Klimawandel, genetische Optimierung und Lebensverlängerung, „Remigration“, Flucht, Armut – so ziemlich jedes aktuelle Thema wurde in den Text eingewebt, bis hinunter zu regionalen Aufregern wie dem Zusammenschluss der Gmundner Molkerei mit dem Milchwerk Jäger oder dem Stephaneum-Leerstand in Bad Goisern. Gewürzt wird mit Musik, Akrobatik, Humor und gesellschaftskritischen Anmerkungen, die zentrale Kulturhauptstadtausstellungen teasern – ein bisschen Werbung muss schon erlaubt sein – etwa, dass es sich noch nicht bis ins Salzkammergut durchgesprochen habe, dass der Adel abgeschafft wurde, oder, dass es in der Region viel Platz für „Bilder unbekannter Herkunft“ gebe.

Der Ansatz des Projektes ist einer Kulturhauptstadt würdig. Gleichzeitig machten die Vorbereitungen für die Produktion die Challenge der dezentralen Struktur von Salzkammergut 2024 mit 23 teils ländlichen Gemeinden sichtbar: Zwar gab es in Bad Goisern ein Casting und auch reges Interesse, letztlich war die Besetzungsliste aber nicht ganz so regional verwurzelt, wie es sich Regisseur Reinhold Tritscher gewünscht hätte. Dafür gab es viele Gründe, etwa dass das Theater ecce in Salzburg seine Probenräume hat, aber auch bürokratische Hürden, wie dass ein Zivildiener – in dem Stück spielen auch mehrere Menschen mit Handycap mit – im Dienst nicht das Bundesland verlassen darf.

Das Publikum spendete dem spielfreudigen, diversen Ensemble viel Applaus für einen inspirierenden Abend, der zeigte, dass Amateurtheater nicht immer gleichbedeutend mit Verwechslungskomödie oder Bauernschwank sein muss. Die Goiserer waren zahlreich erschienen. Am Interesse und an der Kreativität scheitert es wohl nicht, Bad Goisern zu einem Theaterstandort zu machen – ein Showstopper ist aber die öffentliche Verkehrsanbindung. Ein Wegkommen ist abends nur mehr mit dem Auto möglich – egal woher man kommt. Dieses Thema hätte man in die üppige Palette auch noch aufnehmen können.

Von Verena Leiss

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