Kunst des Verzichtens

Schau zur Fastenzeit in der Ursulinenkirche und im Bischofshof Linz

Das Fastentuch zeigt ein Bildnis des „Christus in der Rast“ nach einer Skulptur aus dem 16. Jahrhundert
Das Fastentuch zeigt ein Bildnis des „Christus in der Rast“ nach einer Skulptur aus dem 16. Jahrhundert © Diözese Linz/Kienberger

72 Stunden hat Moritz Matschke auf Licht verzichtet. In einem Experiment hat sich der Künstler der Dunkelheit im Kirchturmzimmer des Linzer Mariendoms ausgesetzt, sich die Stadt zu seinen Füßen vorgestellt und mit einem weißen Stift auf schwarzes Papier gebracht. Entstanden ist, „was nach der visuellen Wahrnehmung kommt“, so der Absolvent der Linzer Kunstuni: „Ich habe das Imaginäre zum Zug kommen lassen.“

Die entstandenen Bilder sind nun erstmals zu sehen — an einem Ort, der nicht passender sein könnte. Am Dachboden der Linzer Ursulinenkirchen empfängt den Besucher Dunkelheit, mit Taschenlampen bahnt man sich den Weg, der Strahl trifft auf die von der Decke hängenden Bilder, auf denen doch Linz sichtbar ist, aber sich jegliche Ordnung und Systematik verliert und ein neues Erkennen spürbar wird.

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„72h Schwarzbild“ ist eines der Werke, die im Zuge von „Memento Mori — Kunst in der Fastenzeit“ bis zum Karfreitag (7. April) in der Ursulinenkirche und in der Kapelle des Bischofshofes zu sehen sind. Die Arbeiten stammen von Förderpreisträgerinnen und -trägern des Diözesankunstvereins von 2018 bis 2022, kuratiert wurde die Schau von Martina Gelsinger, Referentin für Kunst & Kultur der Diözese Linz und Obfrau des Diözesankunstvereins und Anja Ellenberger (Leitung Ausstellungswesen an der Kunstuni Linz).

Verzicht und Neuordnung, Schlagworte, die auch fernab christlichen Glaubens Menschen umtreiben, die Fastenzeit nach dem ausgelassenem Faschingstreiben prädestiniert dafür. Nach Jahren der Einschränkungen ist vielen die Bedeutung von Verzicht und Verlust bewusster.

Tote werden umgesiedelt, die Kirchen zerstört

Ein ganz und gar nicht freiwilliger Verzicht ist Thema von Christel Kiesel de Miranda. In der Krypta der Kirche, der Gruft, zeigt sie mehrere Arbeiten, die die landschaftliche Veränderung durch den Braunkohleabbau in der Lausitz aufgreifen. Ganze Dörfer verschwinden, die Toten werden umgesiedelt, Kirchen zerstört. Eindrucksvolle Bilder des Verlustes entstehen.

Auf den ersten Blick erscheint im großen Raum der Krypta Ruth Größwangs „Symbiotic Matter.“ wie ein halber, von der Decke hängender Totenschädel, öffnen sich die Augen nach einem Moment wieder, wird die Halbkugel sichtbar, umspannt von schwarzen Farnen, die ganz ohne menschliches Zutun die Welt zusammenhalten.

Martina Jägers Arbeit auf dem Weg in den Dachboden spiegelt die Verhaltensweisen der Menschen während der COVID-Krise. Aus Befragungen wurden Erzählungen, aus denen Illustrationen, die nun den Eingang zur Orgelempore zieren.

Sind die Werke im Dachboden und in der Krypta nur bei geführten Rundgängen (23. Februar bis 6. April, donnerstags und freitags, 16 und 17 Uhr) möglich, so heißt die Arbeit „Chattering Theeth“ von Adam Ulen jeden Besucher der Ursulinenkirche willkommen. Drei menschliche Figuren, deren Gesichter an den Dalai Lama erinnern, grinsen, verweisen auf die permanente Gutlaunigkeit in (sozialen) Medien, entblößen unserer Sehnsüchte. Kommt man jedoch näher, beginnen ihre Zähne verstörend zu klappern.

Ganz bewusst hat auch Cécile Belmont Leerstellen in ihrem Gemeinschaftswerk gelassen. Lange geplant, pandemiebedingt verschoben, ist das neue Fastentuch für die Kapelle im Bischofshof seit Herbst 2022 als kollektive Arbeit entstanden. In 285 Stunden unter Beteiligung von 52 Interessierten wurde ein Fastentuch gestickt, das in seinem Verzicht auf Vollständigkeit doch ganz wirkt und das Ungewisse unserer Zeit in den Lücken sichtbar macht. Christus, grübelnd, verzweifelt, entstanden aus unzähligen perfekten und unperfekten Stichen, dahinter unverkennbar die Silhouette der Stahlstadt Linz.

Besichtigt kann das Fastentuch von Montag bis Freitag werden, von 8 bis 17, bzw. freitags bis 12.30 Uhr.

Von Mariella Moshammer

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