Kunstkrimi: Heinrich Steinfests „Sprung ins Leere“ ohne Fallschirm

In der Fantasie ist alles möglich. Und deshalb ist auch in der Literatur alles möglich – vorausgesetzt man hat den entsprechenden Mut oder die nötige Gelassenheit, sich keinen Regeln zu unterwerfen. So ein Autor ist Heinrich Steinfest. Der in Australien geborene und in Deutschland lebende Österreicher hat durch seinen bisweilen an Fantasy grenzenden Schreibstil viele Fans gewonnen. Nun wagt er einen fast 500-seitigen „Sprung ins Leere“ (Piper Verlag, 494 Seiten, 24,70 Euro) ohne Netz und ohne Halt.

Schnitzeljagd nach biografischen Passstücken

Der Romantitel bezieht sich auf eine berühmte Fotografie des französischen Künstlers Yves Klein, der 1960 von einem Balkon in scheinbar halsbrecherische Weise in die Tiefe sprang. Es findet ein zweifaches Echo in dem Buch, das wie ein kunsthistorischer Krimi konzipiert ist, eine Schnitzeljagd nach biografischen Passstücken. Schon 1957 hat eine weitgehend unbekannte Künstlerin namens Helga Blume in Wuppertal ein Foto gemacht, das dem später berühmt gewordenen Sprung-Bild täuschend ähnlich sieht. In der Gegenwart wirbt ein Altersheim am Semmering mit alten Damen, die einen ähnlichen Sprung wagen. Letzteres ist als ein per Fotomontage hergestelltes ironisches Zitat leicht erklärbar, Ersteres stellt ein echtes Rätsel dar, das Blumes Enkelin Klara Ingold zu lösen versucht.

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Ingold arbeitet als Aufseherin im Kunsthistorischen Museum in Wien, wo das Buch am 18. April präsentiert wird. Sie liebt ihre Arbeit und interessiert sich für einen regelmäßigen Besucher, der seine Mittagspause am liebsten vor Jacob van Ruisdaels Landschaftsbild „Der große Wald“ zu verbringen scheint. Eines Tages wird der Besucher zum Lebensretter, indem er Klara an einer Straßenbahnhaltestelle rechtzeitig vor einem ins Schleudern geratenen Motorroller in Sicherheit bringt. Eine ungewöhnliche Freundschaft beginnt, und mit ihr eine ungewöhnliche Reise. Denn Klara hat in sich die Kunstdetektivin entdeckt und eine Fährte aufgenommen, die sie bald mit ihrem Begleiter bis nach Japan führen wird.

Mischung aus Dan Brown und Haruki Murakami

Was dann über hunderte Seiten folgt, ist eine Mischung aus Dan Browns „Da Vinci Code“ und Haruki Murakamis „Ermordung des Commandante“, voller Zeichen und Rätsel, hintergründiger Betrachtungen und rasanter Thrillerelemente. Klaras Großmutter Helga hat im Jahr 1957 ihre Familie wort- und spurlos verlassen. Ihr begegnet die Enkelin nun in einem Tokioter Kunstmuseum wieder – in einem Gemälde mit dem Titel „Die blinde Köchin“. Aus der faszinierten Betrachtung des Bildes wird Klara durch das denkbar ungewöhnlichste Jobangebot gerissen: Der ebenfalls das Museum besuchende Filmregisseur Takashi Ito hat sich in ihre Erscheinung verliebt und bietet ihr die Hauptrolle in seinem nächsten Film „Woman at the Bath“ an – an der Seite von Ewan McGregor. In stummen Nebenrollen: George Clooney und Kim Novak.

Wer hier glaubt, das sei alles ziemlich viel auf einmal, wird eines Besseren belehrt. Es wird noch dicker aufgetragen: geheimnisvolle Sumoringer, militärische Kommandoaktionen, Zauberkunststücke und Zeitmaschinen – all das und noch viel mehr findet sich in dem Buch und lässt an Terry Gilliam wie an Jules Verne denken. Steinfest nimmt sich alle Freiheiten – und hat recht damit, denn ohne Fallschirm oder Sprungtuch ist so ein „Sprung ins Leere“ auch für die Leser prickelnd. Bis zuletzt weiß man nicht, wie der Aufprall sein und wer ihn überleben wird. Nur so viel: Helga lebt. Sie ist 94 Jahre alt und hat als Köchin ein ziemlich scharfes Messer, mit dem sie trotz ihrer Blindheit meisterhaft umzugehen weiß. Einem Sumoringer dagegen reicht der eigene Körper als Waffe – sofern sein Sprung nicht ins Leere geht.

Von Wolfgang Huber-Lang

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