Lebenskunst und Lebenskrise: „Lauter“ des oö. Autors Stephan Roiss

Linzer lässt viel gelobtem Debüt „Triceratops“ eindringlichen Zweitling folgen

Der 1983 geborene Linzer Autor und Musiker Stephan Roiss entwickelt sich zum eindringlichen Erzähler familiärer Ausnahmezustände. In seinem 2020 für den Deutschen Buchpreis nominierten Debütroman „Triceratops“ schilderte er ein von der psychischen Erkrankung eines Elternteils überschattetes Aufwachsen, in seinem Zweitling „Lauter“ wird nun ein Punkmusiker vom Tod seiner Mutter und einer Krebserkrankung aus der Bahn geworfen und wehrt alle Kontaktversuche seines Vaters ab.

Wut über das Leben

Leon ist ein Reisender, ein Lebenskünstler, einer, der sich lieber treiben lässt, als konkrete Ziele zu verfolgen. Immerhin, mit seinen Freundinnen Vio und Milena und der gemeinsamen Band Graógramán (eines der Fabelwesen aus Michael Endes „Die unendliche Geschichte“) könnte der Durchbruch gelingen. Ihr „Free Heavy Arrtcore Noisepunk Cattle Grid Metal“, so die Eigendefinition ihres Musikstils, kommt an, doch Gitarrist und Leadsänger Leon hat für seine Auftritte zwar genügend Talent, Wut über das Leben und Mut zur Entäußerung, doch reichlich andere Probleme.

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Eine Kubareise muss er Hals über Kopf abbrechen, um ans Sterbebett seiner Mutter zu eilen – und kommt doch um Minuten zu spät. Leon zieht sich zurück, droht zu verzweifeln und zu verwahrlosen. Während seine Freunde versuchen, ihm Halt zu geben, fällt er mit einer Krebsdiagnose ins nächste Loch. Dass ihm versichert wird, von allen Krebsarten sei Hodenkrebs der am besten heilbare, ist ihm kein Trost. Immer wieder bricht er aus und mühsam aufgebaute Brücken ab.

Er fährt nach Venedig, wo sein alter Freund Anton sein Lebensheil in der Meditation gefunden hat, und weiter nach Stromboli, wo sein neuer Freund Paolo (69 Prozent schwul, was zusammen mit Leons Selbsteinschätzung von 42 Prozent „more than 100 percent gay“ ergibt) einen Vulkantrip und ein Höhlenkonzert organisiert. Er nimmt sich Vios Ratschlag „Lass die Haare wehen!“ zu Herzen und verstört gleichzeitig durch seinen Egotrip die Freunde, die sich schließlich auf ihre eigenen Projekte konzentrieren. Vios Kunstprojekte mit Riesendübeln (halb Phallus, halb Vulva) finden auch in Japan Anklang, wo sie ein Stipendium bekommt. Die gemeinsame Musik muss warten.

Orientierungslosigkeit einer Generation

Musik und Aussteigertum, Lebenskunst und Lebenskrise – früher hätte man „Lauter“ wohl einen Hippieroman genannt. Heute steht Leon für die Orientierungslosigkeit einer Generation, die zerrissen ist zwischen Liebe und Hass gegenüber den Eltern, Loyalität gegenüber den Freunden und der Sehnsucht nach Freiheit und Hingabe an den Augenblick. Auf verschiedenen Erzählebenen versucht Stephan Roiss, seinem Protagonisten eine nachvollziehbare Vorgeschichte mitzugeben – seine Stärke liegt jedoch in der erzählerischen Gegenwart, in atmosphärischen Momentaufnahmen, die das Lesen zum Miterleben machen.

Das Ende ist versöhnlich. Der Vater taucht in Stromboli auf und entschuldigt sich für alles, was ihm der Sohn übelgenommen hat. Beim Höhlen-Gig beweist sich Leon auch ohne seine angestammten Band-Kolleginnen als Höllen-Musiker. Und im Mondschein vor der nächtlichen Rauchsäule des Vulkans wirkt Meditieren tatsächlich befreiend. „Lauter“ endet leiser als erwartet.

Von Wolfgang Huber-Lang

Stephan Roiss: „Lauter“, Verlag Jung und Jung, 240 Seiten, 23 Euro
Am 4. April (19.30 Uhr) präsentiert Stephan Roiss seinen neuen Roman im Linzer Stifterhaus.

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