Lebensrückblick in Porträts: Anna Mitgutschs „Unzustellbare Briefe“

2004 hielt die Schriftstellerin Anna Mitgutsch die Eröffnungsrede beim Linzer Brucknerfest.
2004 hielt die Schriftstellerin Anna Mitgutsch die Eröffnungsrede beim Linzer Brucknerfest. © APA/rubra

Andere schreiben ihre Autobiografie und geben dabei nichts von sich preis. Anna Mitgutsch, die 75-jährige in Linz geborene Autorin, die lange im Ausland lebte, porträtiert in einem außergewöhnlichen Erzählband Menschen, die ihr wichtig waren, und enthüllt dabei ihr Innerstes.

„Unzustellbare Briefe“ ist formal raffiniert gemacht und findet dabei einen Ton der Privatheit, als lausche man einer psychoanalytischen Sitzung oder zumindest einem intimen Erinnern.

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Die 18 Erzählungen des Bandes sind eigentlich keine Briefe sondern direkte Anreden. Sie wenden sich an Menschen, die ihre Spuren in der Erinnerung und in einem Leben hinterlassen haben, dessen Intensität, Vielfalt und Reichhaltigkeit sich aus der offiziellen Biografie der seit ihrem 1985 erschienenen Debütroman „Die Züchtigung“ in der heimischen Literatur fest verankerten Autorin bisher nur wenig erschlossen hat.

Freilich warnt Mitgutsch: „Der autobiografische Anteil dieser Erzählungen ist fiktionalisiert und literarisch verfremdet. Die Briefe sind erdacht und nicht an reale Personen adressiert, sondern nach einem literarischen Gestaltungsprinzip konzipiert.“

Ihr Leben im Kibbuz, ihre Reisen unter den abenteuerlichsten Umständen und mit minimalen Budgets, ihre unbedingte Sehnsucht nach Liebe, Zuwendung und Anerkennung und ihre Versuche, Menschen zu finden, die ihr Denken, Fühlen und Schreiben teilen oder zumindest verstehen würden, erschließen sich durch ihre Hinwendung an andere. Indem sie sich an andere richtet und ihre einstigen Beziehungen reflektiert, schreibt sie über sich selbst (bzw. ihr poetisches Ich).

Wir erfahren über große Lieben, flüchtige Begegnungen und zerbrochene Freundschaften und erhalten gleichzeitig ein Bild von Zeit und Welt, das von Vielfalt, aber auch von Zerrissenheit gekennzeichnet ist.

Es beginnt im ländlichen Oberösterreich, wo Adalbert Stifter hinter jedem Baum und Felsen hervorzublinzeln scheint, führt in die USA, wo die Jugend im Aufbruch ist, und nach Israel, wo junge Menschen aus aller Welt am Aufbau eines Landes beteiligt sind. Später werden die amerikanischen Universitäten zu jenem Mikrokosmos, der zumindest zeitweise Heimat bedeuten kann. Doch immer wieder gibt es Brüche, führen Lebenslinien wieder auseinander und bleibt die Frage nach den Ursachen unbeantwortet.

„Unzustellbare Briefe“ hat etwas von der Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit und erzählt vor allem von einer Suche nach sich selbst.

Nicht von Ungefähr steht „Mein Mentor, mein Freund“ im Zentrum. Dieser mit Abstand längste Text würdigt einen Lektor, einen Menschen, der stets an das Schreiben der Erzählerin glaubte und es durchzusetzen versuchte. Auf den 50 Seiten dieses Abschnitts ist auch eine ganze Autorinnen-Biografie enthalten, zwischen dem Festhalten am eigenen Anspruch und dem Glauben daran, auch ohne Kompromisse mit dem, was man dichterisch ausdrücken möchte, auf Interesse zu stoßen.

Anna Mitgutsch ist konsequent geblieben. Zehn Romane hat die vielfach Ausgezeichnete bisher geschrieben, dazu Erzählbände und Essays. „Schriftstellerin zu werden bedeutete für mich, die Begabung zu haben, allem eine Sprache zu geben, das sonst in Schweigen unterginge“, hieß es 2008 in ihrem Essay über „das Ablaufdatum der Literatur“.

Mitgutsch hat nicht geschwiegen sondern geschrieben. Erfolgreich. Die „Unzustellbaren Briefe“ werden ihre Adressaten finden.

Anna Mitgutsch: Unzustellbare Briefe. Luchterhand, 316 Seiten, 24,70 Euro

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