Lehrerin aus „Favoriten“: „Es fehlt einiges im System“

Ilkay Idiskut mit zwei ihrer Schülerinnen © APA/Beckermann Filmproduktion/Filmstill

„Es fehlt leider einiges in unserem System“, seufzt Ilkay Idiskut. Die Volksschullehrerin ist das wilde, schlagende Herz in Ruth Beckermanns Dokumentarfilm „Favoriten“, der am Donnerstag (19. September) in den Kinos anläuft. Er ist benannt nach dem 10. Wiener Bezirk, in dem die türkischstämmige Wienerin arbeitete. Mit der APA sprach sie über Mängel im Bildungssystem und fehlende Chancengleichheit in Österreich. Die Bildungsbeauftragten seien zum Handeln aufgefordert.

„Unser Bildungssystem ist sicher nicht darauf ausgelegt, dass es eine gute Unterstützung oder eine Chancengleichheit für diese Kinder gibt“, sagt Ilkay Idiskut. „Weil diese Kinder oft mit sehr großen sprachlichen Defiziten in die Schule kommen. Die können nie aufgeholt werden, weil es nicht genug Ressourcen gibt und weil es einen Lehrkräftemangel gibt.“ Die Rede ist von Selin, Alper, Danilo und den anderen (insgesamt 25) Kindern, die Idiskut in der größten Volksschule Wiens unterrichtete. Drei Jahre lang durfte Ruth Beckermann („Mutzenbacher“) sie beim Unterricht in ihrer Klasse, vom zweiten bis zum Ende des vierten Schuljahrs in der Bernhardtstalgasse, begleiten. Das Ergebnis ist ein empathischer und auch herzzerreißender Einblick in Idiskuts Berufsalltag.

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Unermüdlich ist diese Frau, wie sie den Kindern den Schulstoff und ein respektvolles Miteinander beibringt. Die Buben und Mädchen in der Klasse stammen aus der Türkei, aus Serbien, Rumänien oder Syrien und sprechen teils sehr schlecht Deutsch. Die meisten sind, wie auch die Lehrerin selbst, Muslime. Mit den Buben diskutiert sie, warum Mädchen selbst bestimmen sollten, was sie anziehen. Wenn es dann doch das Türkische braucht, fungiert sie auch als Übersetzerin oder wenn es Streit gibt, auch nicht selten als Psychologin. Es gibt einen Mangel an Personal und die Belastungen des Lehrerberufs laufen von Anfang an mit im Film.

„Ich würde mir wünschen, dass man früher beginnt, diese Kinder zu unterstützen, noch bevor sie in die Schule kommen“, erzählt Idiskut, „damit es zu einer Chancengleichheit kommt“. Denn die Lehrerin, das betont sie, fühlt sich im Stich gelassen von einem Staat, in dem „ihre“ Kinder von vornherein schlechtere Chancen haben. Sie kommen mit sechs, sieben Jahren in die Schule und müssten dann extrem große Lernfortschritte machen, die sie aber nicht machen können, weil es keine Lehrkräfte gibt. „Wenn man zum Beispiel schon im Alter von drei Jahren starten würde, dann hätten die Kinder drei Jahre lang Zeit, um diese Sprache zu lernen“, sagt sie. „Es wäre gut, wenn man die Klasse mehr durchmischen oder eine Gesamtschule schaffen würde. Wenn ich mit 10 Jahren abgestempelt werde, weil ich nicht ins Gymnasium komme, dann ist das schon traurig.“

Sie selbst ist wohl das, was man als ein „Beispiel der gelungenen Integration“ bezeichnen würde. Die Eltern stammen aus der Türkei, aber Ilkay ist in Wien geboren und im fünften Wiener Gemeindebezirk in die Schule gegangen. Ihr Deutsch ist Wienerisch gefärbt. Sie ist also Wienerin, aber natürlich kommt es vor, dass die Menschen sie aufgrund ihres Namens fragen, woher sie denn „wirklich“ komme. Die sympathische Lehrerin nimmt es gelassen. „Das ist einfach die Neugier in den Menschen“, lächelt sie. Ihr Mann ist bei der Polizei. Ihr Bruder ist der Direktor einer Mittelschule. Sie hat eigentlich nur gute Erinnerungen an ihre eigene Zeit in der Volksschule, erzählt sie, auch wenn sie die einzige Nicht-Österreicherin war.

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Aber viele Kinder hätten nicht so viel Glück – und das sei nicht nur ein „Wien-Problem“, sondern betreffe ganz Österreich. Die Menschen, die den Film gesehen haben, erzählt sie, fragen sich natürlich, warum das österreichische Bildungssystem immer daran scheitert, solche Kinder zu fördern. „Ich denke schon, dass gewisse Parteien oder Politiker und Politikerinnen es stört, wenn diese Kinder in unserer Gesellschaft aufsteigen würden“, sagt die Lehrerin. „Aber das ist unsere Zukunft. Warum kann man diese Kinder nicht so unterstützen, dass aus ihnen etwas Ordentliches wird?“

(Das Interview führte Marietta Steinhart/APA)