Leopold Museum emotionalisiert mit der Sachlichkeit

Carl Grossbergs „Papiermaschine“: Zwischen Faszination und Zukunftsangst © APA/Leopold Museum/Benjamin Hasenclever

Es war eine vielgestaltige Kunstströmung, die in ihren Sujets wie ihrer Stilistik ein erstaunlich breites Bild der Wirklichkeit zeichnete: Die Neue Sachlichkeit. Insofern mag es überraschen, dass das Wiener Leopold Museum mit „Glanz und Elend“ nach Eigenangabe erstmals eine umfassende Schau zu dieser deutschen Bewegung in Österreich zeigt. Dafür gestaltet sich diese Pionierarbeit umso mächtiger.

Die Neue Sachlichkeit setzte sich nach der Überwindung des Expressionismus zu Beginn der 1920er als die dominante Malerei der Weimarer Republik durch. Man wandte sich ab von der egozentrischen Bauchnabelschau mit der manischen Fokussierung auf das Individuum und richtete die Aufmerksamkeit auf die Realitäten der Gesellschaft. „Nicht mehr der Blick in Seelenlandschaften stand im Fokus, sondern das Äußerliche“, umriss es Direktor Hans-Peter Wipplinger am Mittwoch bei der Präsentation der Schau.

Lesen Sie auch

Themen wie Umbruchseuphorie und Zukunftsangst, Veränderung von Geschlechterrollen, Klassenunterschiede oder die Flucht vor Umbrüchen ins Private setzen ein vielgesichtiges Mosaik der Moderne zusammen, das in so manchen Aspekten nahe an uns ist. Kein Wunder, dass praktisch alle der gezeigten Kunstschaffenden nach der Machtübernahme der Nazis als entartet diffamiert wurden.

Äußerst schlüssig scheint entsprechend die Entscheidung, die rund 150 gezeigten Arbeiten nicht nach Künstlern oder Chronologie, sondern in 13 Themencluster zu gliedern. „Das Gesicht des Krieges“ etwa zeigt die Reflexionen der Traumata des Ersten Weltkrieges, die von Käthe Kollwitz, Otto Dix oder Karl Hubbuch in Bilder des Leids übersetzt werden. „Tanz auf dem Vulkan“ hingegen macht deutlich, welch anderer Umgang mit den Brüchen im Nachtleben Berlins möglich war, was Max Beckmann oder Rudolf Schlichter mit ihren Werken aus den Zwischenwelten und Nachtlokalen als Symbole für die Ekstase in Zeiten großer Armut deutlich machen.

„Die emanzipierte Frau“ zeigt indes das neue Frauenbild einer sporttreibenden Generation an Frauen mit Bubikopf, die den Betrachter korsettfrei und selbstbewusst von den Leinwänden Lotte Lasersteins oder Schlichters herab anblicken. Die Veristen unter den Sachlichen wie Dix und Grosz betrachteten die Kunst eher als Klassenkampf und zeigen die Verarmung breiter Schichten nach dem von den Siegermächten aufgezwungenen Versailler Friedensvertrag, während Proponenten wie Georg Schrimpf oder Heinrich Maria Davringhausen im Rückgriff auf historische Vorbilder eher die Idylle und das Glück im privaten Heim feiern – oder auch den Kaktus als neue Lieblingspflanze im Stillleben. Und der 1944 in Auschwitz ermordete Felix Nussbaum gibt in seinem Œuvre eine klare Vorahnung auf das Kommende.

Video
Ich möchte eingebundene Social Media Inhalte sehen. Hierbei werden personenbezogene Daten (IP-Adresse o.ä.) übertragen. Diese Einstellung kann jederzeit mit Wirkung für die Zukunft in der Datenschutzerklärung oder unter dem Menüpunkt Cookies geändert werden.

Allen Vertretern dieser im Detail stilpluralistischen Strömung gemein ist, dass der Malprozess nicht wie beim Expressionismus oder dem Impressionismus ausgestellt, sondern auf beinahe altmeisterliche Kunstfertigkeiten zurückgegriffen wird. Unter diesem Parameter versammeln sich aber so unterschiedliche Arbeiten wie der luftig-aquarellartige Stil eines Manfred Hirzels, die stets etwas karikaturenhaften Arbeiten Beckmanns oder Dix‘ und die fast fotorealistischen Maschinenporträts Carl Grossbergs, dessen industrielle Anlagen die Ambivalenz aus Aufbruchseuphorie und Angst vor einer entmenschlichten Zukunft spiegeln.

So hebt in „Glanz und Elend“ ein vielstimmiger Chor an, der neue Geschlechterbilder, Antisemitismus, Zukunftsangst und den Rausch in einer ungeschönten Rohheit besingt, und damit unserer Wirklichkeit nicht allzu fern scheint. „Wir sind noch nicht soweit, aber es gibt gewisse Parallelen, derer wir uns bewusst sein müssen“, mahnte Wipplinger.

„Glanz und Elend. Neue Sachlichkeit in Deutschland“ bis 29. September im Leopold Museum, Museumsplatz 1, 1070 Wien. leopoldmuseum.org

Das könnte Sie auch interessieren