Litauischer „Zauberberg“ in Salzburg blieb blutleer

Thomas Manns „Zauberberg“ in Salzburg © APA/FRANZ NEUMAYR

Fahle Wände, derangiertes Mobiliar und im ewigen Kreislauf von Liegekuren und Fiebermessen gefangen: Am Ende waren es zwar nicht sieben Jahre, aber immerhin fünfeinhalb Stunden, die der junge Hans Castorp in Krystian Lupas – auf Litauisch gespielter – Deutung von Thomas Manns „Zauberberg“ im Sanatorium Berghof in den Schweizer Alpen verbracht hat. Einem Teil der Festspielgäste im Salzburger Landestheater war allerdings bereits zur Pause die Luft ausgegangen.

1929 kam Thomas Mann ins litauische Nida in der Kurischen Nehrung und ließ sich dort ein Sommerhaus errichten, das heute als Kulturzentrum und Museum dient. So ist es nicht ganz weit hergeholt, dass sich das Jaunimo Teatras in der litauischen Hauptstadt Vilnius 100 Jahre nach Erscheinen des „Zauberbergs“ eine Dramatisierung des Stoffs vorgenommen hat, die nun als Koproduktion mit den Salzburger Festspielen auch hierzulande zu erleben ist. Mit dem polnischen Regisseur Lupa, der etwa bei den Wiener Festwochen 2019 Kafkas „Prozess“ und 2014 in Graz Thomas Bernhards „Holzfällen“ in Szene gesetzt hat, hat man einen ausgewiesenen Experten in Sachen Romanadaption ins Boot geholt. Ihn haben vor allem die dem Roman eingeschriebenen Kriegsvorahnungen und die vergleichbare Nähe aktueller Geschehnisse rund um Litauen dazu ermutigt, sich dem Stoff zu widmen, wie er im Voraus sagte.

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Herausgekommen ist eine durchaus werktreue, mit dem Element der Zeit spielende Deutung, die sich jedoch seltsam verstaubt und unnahbar materialisiert. Das Bühnenbild deutet das Innere des Berghofs mit hohen Rundbogenfenstern und zahlreichen Türen an, die Wände werden mittels Projektionen in unterschiedliche Stimmungen getaucht und immer wieder wird ein Kubus auf die Bühne geschoben, in dem sich Castorps Zimmer befindet. In diesem liegt Donatas Želvys als schmächtiger Flachlandbewohner wahlweise im Bett oder sitzt am Schreibtisch, spricht mit sich selbst oder empfängt seinen Vetter Joachim (Matas Dirginčius), den er eigentlich nur für drei Wochen besuchen wollte, schließlich aber sieben Jahre bleibt. Ausgerechnet dieser Topos – der eigentlich gesunde junge Mann verwandelt sich in einen Kranken – kommt in Lupas Inszenierung jedoch nicht wirklich zum Tragen. Zwar verfolgt man – via Videoeinspielung auf einem transparenten Bühnenvorhang – Castorps Zugfahrt in die Berge, die vor den Fenstern von düsteren Vorahnungen einer Katastrophe begleitet werden, doch sobald der junge Hamburger im Berghof angekommen ist, fügt er sich nahtlos in die dortige Kurgesellschaft ein, ohne jenes Befremden an den Tag zu legen, das Thomas Mann in seinem über 1.000 Seiten starken Roman so ausführlich schildert.

Das mag auch damit zu tun haben, dass Lupa darauf verzichtet, die anderen Kurgäste näher einzuführen: Zwar sind Figuren wie Karoline Stöhr, Hermine Kleefeld oder Fräulein Engelhart immer wieder – auf Liegestühlen, am Tisch oder in einer langen, statischen Vortragsszene von Dr. Krokowski über die Liebe – präsent, können ihre Eigenartigkeiten aber kaum ausleben. Vielmehr sind es die Männer, die hier lang und langatmig über Philosophisches und Politisches diskutieren, allen voran natürlich der Intellektuelle Ludovico Settembrini (Aleksas Kazanavičius) oder sein Gegenspieler Leo Naphta (Sergejus Ivanovas). Gleich dreifach besetzt hat man die rothaarige Madame Chauchat, die mehr als Personifikation von Castorps Sehnsucht durch die meisten Szenen schwebt denn als reale Figur.

Richtig Bewegung kommt erst nach der Pause ins Spiel, wenn die zuvor entschwundene Chauchat mit ihrem neuen Liebhaber Mynheer Peeperkorn (Valentinas Masalskis, der zuvor als Hofrat Behrens blass geblieben war) zurückkehrt und Castorps Hoffnung, in ihr doch noch die große Liebe zu finden, zerbirst. Peeperkorns große Verzweiflungsszene, die vom Getöse eines riesigen projizierten Wasserfalls übertönt wird, gehört zu den eindringlichsten Szenen dieses langen Abends. Spätestens in dieser Szene ist dem nach der Pause verbliebenen Publikum klar, wohin die Selbstvergessenheit der Kurgäste und die politische Spannung zwischen Settembrini und Naphta führt: In die Wassermassen mischen sich Gräuelszenen von Krieg und Tod, der Erste Weltkrieg steht vor der Tür. Warum es Lupa nicht bei dieser starken Schlussszene belassen hat, sondern noch die lange, unfreiwillig komische Seance-Szene, in der der mittlerweile verstorbene Joachim erscheint, hinten drangehängt hat, bleibt unbeantwortet.

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Nach beeindruckenden, kurzweiligen Inszenierungen des „Zauberbergs“ wie zuletzt etwa durch Bastian Kraft am Burgtheater oder Sara Ostertag am Landestheater Niederösterreich bleibt Krystian Lupas Deutung seltsam blutleer. Kurz vor Mitternacht verabschiedete sich das gut 20-köpfige Ensemble des Jaunimo Teatras unter mattem Applaus von einem müden Publikum.

(Von Sonja Harter/APA)

Salzburger Festspiele: „Der Zauberberg“ nach Thomas Mann, Koproduktion mit dem Jaunimo Teatras (Vilnius), Regie und Bühne: Krystian Lupa, Kostüme: Piotr Skiba. Mit u.a. Donatas Želvys, Matas Dirginčius, Valentinas Masalskis, Viktorija Kuodytė, Aušra Giedraitytė und Alvydė Pikturnaitė. Weitere Termine: 22., 24., 26. und 28. August. salzburgerfestspiele.at