Literaturmuseum spannt Mayröcker-Kosmos auf

Ausstellung widmet sich der „Jahrhundertdichterin“ Mayröcker © APA/ÖNB/Isolde Ohlbaum

Von der legendären Pelzmütze bis zum vergilbten Typoskript, von der „Hermes Baby“-Schreibmaschine bis zum VR-Besuch im „Zetteluniversum“: Mit der Ausstellung „ich denke in langsamen Blitzen“ würdigt das Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB) die 2021 verstorbene „Jahrhundertdichterin“ Friederike Mayröcker, die am 20. Dezember 2024 ihren 100. Geburtstag gefeiert hätte. 400 Kartons umfasst der Nachlass, aus dem sich diese außergewöhnliche Schau speist.

„Zwei Jahre lang wurde Zettel für Zettel mit archäologischer Gewissheit abgetragen“, erinnerte sich ÖNB-Generaldirektorin Johanna Rachinger am Mittwoch bei der Pressekonferenz an die Zeit zwischen 2019 und 2021, als die ersten Konvolute aus Mayröckers Wohnung in der Zentagasse in Wien-Margareten abgeholt wurden. „Das war eine gewaltige Aufgabe, unsere Mitarbeiter werden noch Jahre mit der Aufarbeitung beschäftigt sein.“ Für die Sonderausstellung, die bis zum 16. Februar 2025 zu sehen ist, haben Literaturmuseumsleiter Bernhard Fetz und Kuratorin Katharina Manojlovic einen repräsentativen Querschnitt mit viel Liebe zum Detail destilliert. Begrüßt werden die Besucher von einer Multimedia-Station, in der man mittels VR-Brille in die legendäre Schreibwohnung der Dichterin eintauchen kann.

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Das erste von drei Kapiteln widmet sich dem „Leben und Schreiben“ und versammelt nicht nur Kindheitsfotos und Typoskripte früher Gedichte und Übersetzungen, sondern auch Audiobeispiele von gemeinsam mit Ernst Jandl verfassten Hörspielen wie „Fünf Mann Menschen“ (1968) oder „Gemeinsame Kindheit“ (1970) samt späterem Audio-Kommentar der Autorin. Auch zahlreiche Englisch-Lehrbücher der früheren Lehrerin sind erhalten geblieben, in einer Vitrine thronen sagenhafte acht Schreibmaschinen, darunter mehrere Exemplare von Mayröckers bevorzugter „Hermes Baby“. Auch zahlreiche Alltagsgegenstände – von der Lesebrille über Medikamentenschachteln bis zum Festnetz-Telefon – haben ihren Weg in die Ausstellung gefunden, die an einer Station auch selbst zum Weiterschreiben ihrer Prosa „brütt oder Die seufzenden Gärten“ einlädt.

Mayröckers Kinderbücher werden durch eine digital zu durchblätternde Ausgabe des „ABC Thrillers“ gewürdigt, wobei junge Gäste dazu eingeladen sind, ihre eigenen Zeichnungen anzufertigen und – wie einst Mayröcker ihre Texte – an Kluppen an einer Wäscheleine aufzuhängen. Ein eigener Bereich ist auch Mayröckers zahlreichen Verbindungen zu Kunst und Musik gewidmet. Hier findet sich etwa ein Brief an ihre Freundin Maria Lassnig und ein Exemplar des gemeinsam gestalteten Buchs „Rosengarten“ sowie eine Radierung, die die Künstlerin 1995 von Mayröcker angefertigt hat. Wie sehr Mayröckers Werk sich in der zeitgenössischen Musik niedergeschlagen hat, verdeutlichen Vertonungen von Gedichten von Beat Furrer oder Elisabeth Harnik, während an der Wand gegenüber Texte ausgestellt sind, die Mayröcker zu Werken von u.a. Franz Schubert verfasst hat.

Wie umfangreich ihr Gesamtwerk ist, macht eine physisch begreifbare Zeitleiste deutlich, in der alle 120 Buchtitel als Bücherstapel nach Jahrzehnten geordnet aufgeschlichtet sind. Wie groß Mayröckers Einfluss auch auf die jüngere Schriftstellergeneration ist, zeigen sechs Videos, in den Autoren wie Anna Baar, Marcel Beyer, Teresa Präauer oder Clemens Setz über für sie prägende Aspekte in Mayröckers Schreiben sprechen. Apropos Film: Im eigens eingerichteten Kino läuft der 1990 entstandene Film „1 Häufchen Blume 1 Häufchen Schuh“ von Carmen Tartarotti und Bodo Hell. Wer noch tiefer in den Kosmos der Dichterin eintauchen will, hat dazu die Möglichkeit im umfangreichen Begleitbuch zur Ausstellung, das am 25. April präsentiert wird.

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„ich denke in langsamen blitzen. Friederike Mayröcker. Jahrhundertdichterin“ im Literaturmuseum, 18. April bis 16. Februar. Katalog im Zsolnay Verlag, hrsg. von Bernhard Fetz, Katharina Manojlovic und Susanne Rettenwander, 350 Seiten, 35 Euro. onb.ac.at

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