Lyrik, Aktionen und Melonen: Palästina auf der Kunstbiennale

Lesung aus einem „Gaza-Lesebuch“ in Venedig © APA/herwig g. hoeller

In Ermangelung eines Länderpavillons haben Aktivisten künstlerische Solidaritätsbekundungen mit den Palästinensern während der Eröffnungstage der Biennale von Venedig insbesondere in den öffentlichen Raum verlegt. In der Nähe der Giardini kommt ein „Freiheitsboot“ zum Einsatz, und in weiten Teilen der Lagunenstadt wurden Plakate affichiert, die auf den Konflikt mit dem Staat Israel verweisen. Eine Westjordanland-Ausstellung fungiert zudem als inoffizieller Palästina-Pavillon.

Obwohl er auf der Biennale offiziell nur in Form des geschlossenen israelischen Pavillons vorkommt, den Künstlerin Ruth Patir erst nach einem Waffenstillstand und der Freilassung aller von der Hamas entführten Geiseln eröffnen will, bleibt der Krieg im Gazastreifen auch in Venedig ein bestimmendes Thema. Nach einer emotionalen Demonstration in den Giardini, bei der am Mittwoch mit Verweis auf angebliche israelische Verbrechen die Schließung des bereits geschlossen Israel-Pavillons gefordert wurde und auch der in manchen EU-Ländern verbotene Slogan wie „From the river to the sea“ skandiert wurde, schlugen die pro-palästinensische Aktivistinnen und Aktivisten aus zahlreichen Ländern am Donnerstag leisere Töne an.

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Unweit des Biennale-Eingangs in den Giardini wurde eine Lesung von Lyrik aus einem eigens produzierten „Gaza-Lesebuch“ organisiert – in fast allen Gedichten war die Rede vom Leiden des palästinensischen Volkes, vom Hamas-Überfall auf Israel war indes keine Rede. Im Hintergrund der Lesung wurde zudem ein unspektakuläres Transportschiffchen mit zwei künstlerischen Fähnchen geparkt, das stolz als „Freiheitsboot“ bezeichnet wird.

Eine renommierte Vertreterin der international Kunstwelt, die bei einer weiteren Lesung am Freitag auftreten sollte, ist die palästinensisch-amerikanische Künstlerin Emily Jacir. 2007 war sie für ihre künstlerische Beschäftigung mit der palästinensischen Thematik auf der Biennale mit einem Goldenen Löwen ausgezeichnet worden. Nach spöttischen Kommentaren über eine israelische Geisel der Hamas war sie im vergangenen Herbst bei Veranstaltungen etwa in Deutschland ausgeladen worden. Gegenüber der APA gab sie sich in Venedig vorsichtig und betonte etwa, die Demonstration vor dem israelischen Pavillon am Mittwoch nicht besucht zu haben. Sie sei mit der Vorbereitung der Ausstellung „South West Bank“ beschäftigt gewesen, erzählte sie.

Die Gruppenschau „South West Bank. Landworks, Collective Action and Sound“ („Süd-Westjordanland. Landarbeiten. Kollektive Aktion und Klang“, Anm.) läuft im offiziellen Begleitprogramm der Biennale, der Ausstellungsraum unweit der Kunstakademie ist so etwas wie ein inoffizieller Palästina-Pavillon. Jacir scheint hier nicht nur als Mastermind des Projekts zu fungieren, sie ist auch als Künstlerin vertreten. Neben eindrucksvollen dokumentarischen Arbeiten aus ihrem Bethlehemer Familienarchiv präsentiert sie etwa eine Installation aus dem Jahr 1998, in der sie niemand Geringeren als Kurt Cobain in ein geheimes Symbol der Solidarität mit den Palästinensern verwandelt: „Bethlehem street corner“ besteht aus zehn Palästinenser-Tüchern und ebensovielen T-Shirts mit dem Konterfei des früh verstorbenen Rockstars und seinen Lebensdaten. Bei Jacir beziehen sich diese freilich auf das Jahr der Besetzung des Westjordanlandes durch Israel (1967) sowie das Jahr, in dem die PLO aufhörte, eine revolutionäre Organisation zu sein (1994).

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Symbolisch aufgeladen ist in dieser Schau aber auch eine aktuelle Fotografie von Adam Rouhana, der einen Buben beim Essen einer Wassermelone zeigt. Die Farben der Frucht ähneln jener der laut Jacir vor Ort verbotenen palästinensischen Flagge und avancierten daher zum Zeichen des Widerstands gegen Israel. Dies scheint auch jenseits der Ausstellung so interpretiert zu werden: In den vergangenen Tagen wurden in Venedig Melonen-Sticker verteilt, in denen auf arabisch und isländisch „Freiheit für Palästina“ gefordert werden. Und auch der türkische Konzeptkünstler Ahmet Öğüt postete Anfang der Woche aus Venedig ein Melonenfoto auf Instagram.

Für auffällige Aktivitäten am Rande der Biennale war die Initiative „Art not Genocide Alliance“ („Kunst nicht Genozid-Allianz“, Anm.) verantwortlich. Die anonymen Aktivistinnen und Aktivisten dieser losen Gruppe waren nicht nur für die Demonstration in den Giardini verantwortlich – sie affichierten auch in weiten Teilen der Stadt Reproduktionen von Gemälden und Grafiken, die sich mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt beschäftigen: Arbeiten wie „Palestinian Sisters“ (2023) von Halima Aziz – zu sehen sind zwei widerständige junge Frauen in nationaler Tracht und mit Smartphone – oder „Death Road“ (2023) der Künstlerin Malek Mattar, die in expressionistischer Manier einen Flüchtlingsmarsch zeigen, stehen dabei im klassischen Kontext einer linken, politisch engagierten Kunst des 20. Jahrhunderts. Ähnliches gilt auch für jene Plakate, die eine weitere Gruppe – „Flyers for Falestin“ – ebenso auf vielen Mauern von Venedig angebracht hat. Die Sujets rufen zu Protesten auf und fordern „Freiheit für Palästina“.

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