Mavie Hörbiger als gebrochener „Peer Gynt“ im Burg-Kasino

„Peer Gynt“ als poetisch-analytische Reflexion über Schein und Sein © APA/Burgtheater/Marcella Ruiz Cruz

Siegessicher in der Euphorie, verwundbar im Zweifel und getrieben zwischen den beiden Polen taumelnd: Mit Mavie Hörbiger in der Titelrolle hat der isländische Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson im Burgtheater-Kasino einen „Peer Gynt“ entwickelt, der an der Rückschau auf sein Leben verzagt. Ein poetisch-analytischer Abend zwischen Fantasie und Fanatismus, Höhen und Aushöhlung, der bei seiner Premiere am Freitagabend heftig akklamiert wurde.

Dass der 45-jährige Regisseur, der am Burgtheater bereits 2019 mit seine „Edda“-Deutung überzeugte, seinen Ibsen in- und auswendig kann und so vielleicht mehr als andere Kollegen auf Abstraktion und Montage setzt, liegt in seiner Geschichte als Theaterkind. Als Sohn eines bekannten isländischen Schauspielerehepaares sammelte er seine ersten Bühnenerfahrungen als Troll in einer „Peer Gynt“-Inszenierung seiner Mutter, in der sein Vater die Titelrolle gab. Seine erste eigene, 2011 in Luzern geschaffene Realisierung des Stoffes bezeichnet er im Burgtheater-Programmheft als „eine Art Durchbruch, weil ich da in gewisser Weise das Familienerbe aufgenommen und auf eigene Art verarbeitet habe.“ Mit dem neuerlichen Aufgreifen des 1867 verfassten dramatischen Gedichts des norwegischen Dramatikers zeigt er, dass offenbar noch nicht alle Fragen beantwortet waren.

Vor den nackten Wänden des klassizistischen Raums startet Arnarsson mit einer nebeligen Szene aus dem fünften Akt, in der Peer Gynt am Ende seines Lebens auf dem Schiff einen fremden Passagier trifft, der ihn erstmals mit der Möglichkeit des eigenen Todes konfrontiert. Damit ist ein Rahmen geschaffen, in dem das sonst chronologische Werk aus der reflektierten Rückschau als Stationendrama erzählt werden kann. Denn, wie sagt der Fremde? „Also gut, mein Freund, wir haben Takt – Man stirbt nicht mitten im ersten Akt.“

Und so findet sich der junge Peer Gynt, in kecker kurzer Hose, schwarzem Rollkragenpulli und ebensolcher Ohrenmütze im heruntergewirtschafteten Haus seiner Mutter Aase wieder, der Barbara Petritsch eine mondäne Gebrochenheit verleiht, wenn sie ihren Sohn der Lüge zeiht. Ein einsamer schwarzer Stuhl reicht Hörbiger dabei, in bunten Farben den heldenhaften Ritt auf dem Bock zu imaginieren, mit dem Peer seine vorherige Abwesenheit zu erklären sucht. Während die Mutter auf ihrem Canapé zurückbleibt, zieht er schon wieder los, um Solveig, Ingrid und die Trollprinzessin unglücklich – und sich zum Kaiser der Welt zu machen.

Alle drei Frauen gibt Lilith Häßle, die vor allem als entrückte Trollprinzessin – hinter einer transparenten Gesichtsmaske, mit auf den Schultern sitzenden Luftballons in Folie eingewickelt – zu beeindrucken weiß. Lukas Vogelsang lehrt Peer Gynt nicht nur als an Elvis gemahnender Trollkönig das Fürchten, sondern verleiht auch Mini-Rollen wie dem gehörnten Verlobten Ingrids oder dem Tollhaus-Vorsteher gewichtige Nuancen. Besonders amüsant: Jene Szene, in der der gealterte Peer Gynt im Fatsuit von seinen Menschenhandel-Geschichten prahlt, bevor sich seine ebenso voluminösen Geschäftspartner in die Insassen des Irrenhauses verwandeln, das aus einem mit Folie bespannten Holzquader besteht (Bühne und Kostüme: Daniel Angermayr).

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Zum Finale hin verwandelt sich Johannes Zirner, der schon zu Beginn den Fremden auf dem Schiff gab, tatsächlich in den Totengräber, wenn er als Knopfgießer den Sensenmann mimt, der Peer Gynt die Identitätsfrage stellt. Hier läuft Hörbiger nach Stationen des Größenwahns und Klamauks in ihrer Verzweiflung noch einmal zur Hochform auf.

Und so erschafft Arnarsson in diesen pausenlosen 105 Minuten eine Welt, in der die Suche nach der besten Geschichte und der schonungslosesten Form der Selbstoptimierung so lang im Vordergrund steht, bis jemand hinter die Fassade blickt – wo nichts zu finden ist. Parallelen zur von Influencern und Geltungssucht geprägten Gegenwart liegen auf der Hand, werden aber dankenswerter Weise nicht auf dem Präsentierteller serviert. Atmosphärisch eingehüllt wird dieser wilde Trip, der vom intensiven Spiel aller Beteiligten lebt, von Gabriel Cazes, der am Flügel, Schlagzeug, Cello und der E-Gitarre einen Sound kreiert, auf dessen Schwingungen Hörbiger und das Ensemble auf das unvermeidliche Ende zusteuern. Ein bewegter wie bewegender Abend.

(Von Sonja Harter/APA)

„Peer Gynt“ von Henrik Ibsen im Burgtheater Kasino. Regie: Thorleifur Örn Arnarsson, Bühne und Kostüme: Daniel Angermayr, Musik: Gabriel Cazes. Mit Mavie Hörbiger, Barbara Petritsch, Lilith Häßle, Johannes Zirner und Lukas Vogelsang. Weitere Termine: 19. und 21. März, 14. und 27. April. Infos und Karten unter burgtheater.at

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