Menschen, Morde, Motive

ORF-Doku „Wiener Blut — Auf den Spuren der ersten Profiler“

V. l.: Theodor Reik, „Objekt“ aus dem Wiener Kriminalmuseum, Matthew Beard als Max Liebermann
V. l.: Theodor Reik, „Objekt“ aus dem Wiener Kriminalmuseum, Matthew Beard als Max Liebermann © ORF/Clever Contents

Profiling, die Erstellung von Täterprofilen zur Lösung von Kriminalfällen, hat seine Wurzeln in Wien, konkret bei Sigmund Freud und seinem (Lieblings-)Schüler Theodor Reik (1888-1969). Die Anfänge der Zusammenarbeit von Polizei und Psychoanalyse zur Jahrhundertwende stellt die ORF/ZDF-Krimireihe „Wiener Blut“ gerade spannend fiktiv dar.

Die Dokumentation „Wiener Blut — Auf den Spuren der ersten Profiler“ (3sat, Donnerstag, 22.55 Uhr) von Gabriele Flossmann geht der Realität in einem außergewöhnlichen Pingpong aus Ausschnitten aus der Serie, historischen Hintergründen und Interviews mit bekannten Experten auf aufschlussreiche Art und Weise nach.

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Der jüdische Psychoanalytiker Theodor Reik emigrierte 1938 in die USA, wo später das FBI auf sein Wissen, das er in 50 Büchern wie „Der unbekannte Mörder“ und Hunderten wissenschaftlichen Essays festhielt, setzte. Heute lassen sich heimische Kriminalbeamte „drüben“ schulen. Thomas Müller etwa, Psychologe und Profiler, der mit der Aufklärung von Fällen wie Jack Unterweger reüssierte. Schon zu Zeiten der Habsburgermonarchie, als Wien das Zentrum eines Vielvölkerstaates war, sei „viel nachgegraben und nachgedacht worden“, meint Müller in der Doku.

„Österreich verfügte als erster europäischer Staat über einen kriminalpsychologischen Dienst und als zweiter über eine funktionierende DNA-Datenbank.“ Bereits in den 1850ern stellte der Wiener Richter Hans Gross einen Tatortkoffer mit neuesten Hilfsmitteln zusammen und schrieb ein Handbuch für Untersuchungsrichter, das in mehr als 50 Sprachen übersetzt wurde und an dem sich das FBI bis heute orientiert.

Faszination Mord: Von der Realität zum Film

In einer Zeit, in der es noch keine Spurensicherung und auch keine Verhörprotokolle gibt, fingen innovative Kriminalkommissare an, auf Reik zurückzugreifen, die genaue Kenntnis der menschlichen Psyche übte mehr und mehr Einfluss auf die Kriminologie aus. Reik erkannte, dass die Art und Weise des Verbrechens auf die Persönlichkeit des Täters schließen lässt und entwickelte dazu kriminalistische Methoden, wo schon kleinste Hinweise Schlüsse zuließen.

Mit den so gewonnenen (Er)Kenntnisse(n) und dem dadurch entwickelten Einfühlungsvermögen lösten Kommissare spektakuläre Fälle, die eine große Faszination ausübten und zur Vorlage für viele Filme und Serien wurden — von „M“ über „Schweigen der Lämmer“ bis „Mindhunter“. Der junge Psychoanalytiker Max Liebermann in „Wiener Blut“ hat Theodor Reik zum Vorbild.

Der italienische Pathologe Cesare Lombrose war der erste, der Gehirne sezierte, um Verbrechen auf die Spur zu kommen. Seine Lehre vom geborenen Verbrecher, die er aus der Kopfform und anderen Merkmalen ableitete, griffen die Nazis auf, um ihre Theorie von den Herrenmenschen zu untermauern, Reiks Theorien wiederum wurden von den Nazis verboten. Im Auftrag des US-Geheimdienstes erstellte während des Krieges Walter C. Langer das Psychogramm Hitlers.

Beunruhigend etwas, das Gerichtspsychiater Reinhard Haller in der Sendung anmerkt: „Große Verbrecher sind instinktiv gute Psychologen, können intuitiv Menschen einschätzen und agieren planvoll, riechen Gefahr.“

Von Melanie Wagenhofer

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