Meret Becker: „Ich brauche meinen Enthusiasmus“

Meret Becker will das Gefühl Zirkus fassbar machen © APA/EVA MANHART

Meret Becker ist alles. Paradeberlinerin mit frecher Klappe, ätherisches Wesen auf der Bühne mit singender Säge, Theaterberserkerin, „Tatort“-Star oder Femme fatale im Serienhit „Babylon Berlin“. Und nun kommt die 55-Jährige für einen zirzensischen Abend am 15. Mai nach Wien. Im Theater Akzent ist Becker mit ihrer Band The Tiny Teeth beim Programm „Le Grande Ordinaire“ zu erleben.

In einer Liedercollage erzählt die Künstlerin vom Reisen und der Sehnsucht nach dem Ankommen, von dem Zug zur Fremde und der Angst vor dem Fremdsein. All das ist im Stile eines Varietés verpackt, weshalb auch Instrumente wie Spieluhren, Kinderklavier oder Glasharfe zum Einsatz kommen. Aus Anlass der Premiere sprach Meret Becker mit der APA über den Zirkus als Sehnsuchtsort, wofür sie brennt und die Fußstapfen ihrer Oma.

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APA: Wie viele Ihrer Platten ist ja auch „Le Grande Ordinaire“ ein Konzeptprogramm. Wie ist das Thema Zirkus zu Ihnen gekommen?

Meret Becker: Ich komme eigentlich ein bisschen vom Zirkus, vom Varieté. Ich trete da ein bisschen in die Fußstapfen meiner Oma, die Sprachclown war – heute würde man Stand-up-Comedian sagen. Mein Onkel war Artist, mein Opa Tänzer in Revueaufführungen. Und jetzt bin ich da drin gelandet. (lacht)

APA: Dabei hassen ja viele Menschen den Zirkus …

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Becker: Blixa Bargeld würde Zirkus ja am liebsten Stadtverbot geben. (lacht) Aber es gibt eine Idee von Zirkus, die von ganz weit aus der Kindheit her stammt. Vielleicht ist das ein Zirkus, den es nie gab. Zirkus hat etwas Sehnsuchtsvolles, ist eine Erinnerung an etwas, wo man nie ankommt. Das hat etwas Trauriges, aber auch etwas Hoffnungsvolles. Sehnsucht ist ja auch eine wahnsinnige Antriebskraft. Denn ohne sie würden wir aufhören zu sein.

APA: Welche Rolle spielt der Zirkus für Sie auf der Bühne?

Becker: Bei meinem Konzert ist der Zirkus das Skelett. Manchmal merkt man ihn wirklich, manchmal vergisst man, dass man damit zu tun hat. Es ist ein Abend aus lauter Bildern. Manchmal spiele ich Chansons, manchmal ist es groovy Musik und manchmal klingt es wirklich wie Zirkus. Meine Hoffnung ist, dass die Leute in ihren eigenen Zirkus driften können. Man macht ja so viel Blödsinn auf der Bühne – da hoffe ich, dass man auch zu Blödsinn anstiftet. Vielleicht probieren die Menschen etwas aus, das sie noch nie gemacht haben.

APA: Wie akrobatisch wird der Abend?

Becker: Es geht nicht so sehr um die akrobatische Challenge, sondern darum, Bilder zu kreieren. Also nicht schöner, höher, weiter wie sonst im Zirkus, sondern es einfach trotzdem zu machen, auch wenn ich es nicht wirklich kann. Es gibt ja Leute, die sagen: Ich würde so gerne Klavier spielen, kann das aber nicht mehr lernen. Und ich denke mir nur: Wieso? Mach doch einfach! Oder wenn Menschen sich nicht trauen, eine Sprache zu lernen, weil das angeblich Kinder so viel besser machen. Die können das überhaupt nicht besser! Die gehen da nur wilder ran und trauen sich mehr.

APA: Erreichen Sie die Menschen mit Musik anders als mit Theater oder Film?

Becker: Total! Ich erreiche schon alleine mich ganz anders. Musik ist ein unmittelbarer Zugriff auf die Seele. Allein dass Menschen tanzen, ist skurril. Wer würde sich ohne Musik trauen, einfach in der Gegend herumzuzappeln?!

APA: Wie sehr sind Sie im Fall Ihrer Bühnenabende die Chefin im Ring?

Becker: Ich bin bei all meinen Programmen die Chefin. Selbst beim Punk-Brecht-Abend mit Nina Hagen hat sie ihre Songs zwar selbst ausgewählt, und ich würde Nina Hagen nie sagen, wie sie die interpretieren soll. Da würde man sich bei ihr auch ordentlich in die Nesseln setzen. (lacht) Aber selbst da habe ich das Programm zusammengestellt.

APA: Wie würden Sie selbst denn Ihren Beruf definieren?

Becker: Ich würde nicht sagen, ich bin Regisseurin. Ich tue mir aber auch schwer damit zu sagen, ich bin Schauspielerin. Ich habe das Gefühl, das klappt manchmal, aber nicht immer. Und ich würde auch nicht sagen, ich bin Musikerin. Das fühlt sich richtig und falsch zugleich an. Ich kann Säge spielen wie keine andere, aber ich sitze nicht den ganzen Tag am Klavier oder der Gitarre und übe. Ich kann nicht virtuos improvisieren, sondern spiele halt Glockenspiel, Basskalimba, Bass, Gitarre oder Akkordeon, wenn es gebraucht wurde.

APA: Sie sind als in gewissem Sinne stets in einer Zwischenwelt unterwegs. Genießen Sie das?

Becker: Es ist schon anstrengend. Aber wenn ein Element fehlt, ist alles aus dem Takt, und ich komme mir völlig unkomplett vor. Ich habe dann schnell den Eindruck, dass ich gar nichts kann, was vielleicht auch ein sehr weibliches Ding ist. Ich muss lernen zu sagen: Doch, ich kann! Wenn es zum Beispiele eine Idee gibt und eine Dramaturgie dazu, dann kommen mir sofort Bilder in den Kopf, das kann ich wirklich.

APA: Das wäre ja die ideale Grundlage für eine Regiekarriere …

Becker: Ja eben! Hallo, Außenwelt!! Ich habe Drehbücher geschrieben, die würde ich gerne verfilmen. Aber es ist wohl ein deutsches Phänomen, dass es so schwer ist für das, was ich mache, Förderungen zu bekommen. Die Förderanstalten denken, ich wäre reich, weil ich Filme mache, was natürlich nicht stimmt. Warum macht ihr uns das Leben so schwer? Wir könnten euch unendlich mit Programmen beschenken, wenn es leichter wäre!

APA: Könnten Sie sich denn auch vorstellen, fremde Drehbücher zu verfilmen?

Becker: Das Problem wäre: Ich hänge dann einfach nicht so dran. Ich brauche aber meinen Enthusiasmus. Das ist ja das Tolle an meinem Beruf! Natürlich ist er auch mal harte Arbeit, und die Maschine schaltet nie aus. Aber man muss dafür brennen. Sonst bin ich raus, und dann mach‘ ik wat Anständijes! (lacht)

(Das Gespräch führte Martin Fichter-Wöß/APA)

akzent.at

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