„Mit einem Tiger schlafen“: Ein Film wie ein Gemälde

Kino: Anja Salomonowitz inszeniert die herausragende Birgit Minichmayr als Malerin Maria Lassnig

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Es hätte das Sterbebett eines Kindes werden können, doch Momente später liegt die erwachsene Maria Lassnig darin, spricht mit uns Zusehern über Farben, über Kontemplation. Regisseurin Anja Salomonowitz lässt in ihrem Film „Mit einem Tiger schlafen“ Zeit, Menschen und Genre verschwimmen, inszeniert ihre großartige Hauptdarstellerin, die gebürtige Oberösterreicherin Birgit Minichmayr, alterslos. Minichmayr spielt die Kärtnerin in jedem Alter, ihr Körper dient als Vehikel für diese hervorragende Idee. Überhaupt gibt die Burgtheater-Mimin die Malerin zutiefst körperlich, liegend mit verdrehten Extremitäten malt sie in großen Bögen, Formen finden sich auf den Leinwänden, Körper entstehen, der Kreis schließt sich. Und auch dieser Film funktioniert wie ein Gemälde, ein buntes Porträt, das seine Betrachter emotional einfängt.

Der Mensch Lassnig wird seziert

Lassnig, die lange auf öffentliche Anerkennung warten musste und privat zeitlebens mit Kränkungen und Verlassenheit hadertet, wird von Salomonowitz seziert. Die Gefühlswelt der Malerin, die sie in ihren Werken zeitlebens selbst nach außen getragen hat, wird in ihrer Vielschichtigkeit nun noch auf andere Art sichtbar — und das in perfekter Ergänzung zu den Gemälden, die immer wieder im Film auftauchen: vollendet und perfekt in Szene gesetzt, in der Entstehung, wie beiläufig im Hintergrund auftauchend.

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In späten Jahren soll Maria Lassnig immer wieder Ängste ausstehen, dass jemand ihre Bilder stehlen wolle, die ihre Kinder seien und Museen nichts als Waisenhäuser.

Extrem sensibler und ungeschönter Charakter

Auf VALIE EXPORT reagiert Maria Lassnig bissig, ihrem erst 19-jährigen Liebhaber Arnulf Rainer neidet sie den Erfolg, permanent setzt sie sich mit ihrem Innersten auseinander, übersetzt es in Farbe und Form. Er ist extrem sensibel, vielfältig und ungeschönt, der Charakter, den die Regisseurin auf der großen Kinoleinwand entstehen lässt. Immer wieder streut sie dokumentarische Schnipsel ein, lässt ihre Protagonisten direkt in die Kamera sprechen, lässt aus Interviews zitieren, verfremdet, ohne den narrativen Faden zu verlieren.

Dieser Film, der gerade bei der Diagonale einen wahren Preisregen erlebt hat, hält sich an keine Chronologie und lässt gerade deshalb den Menschen Maria Lassnig auf der Leinwand ganz wahrhaftig entstehen. Auf nahezu allen Ebenen unkonventionell erzählt „Mit einem Tiger schlafen“ das Leben einer Künstlerin, deren Stil unverkennbar ist, deren Werk heute die großen Häuser der Kunst ziert.

Mut zur Lücke beim Betrachter

Es muss hier auch der Film-Betrachter Mut zur Lücke beweisen, nicht jedes Detail wird verstanden werden, die Kleidung, in der Minichmayr auftritt, die Farben, die Schaffensphasen miterzählen, wann genau die Episoden in Paris, in New York passierten — vieles ist unwichtig, das Essenzielle, das Wesen der Künstlerin, wird in „Mit einem Tiger schlafen“ emotional fassbar.

Anja Salomonowitz ist gelungen, was viele Biopics nicht schaffen: dem Zuseher einen Menschen wirklich nahezubringen, ohne diesen gekannt, ohne ihm je begegnet zu sein. Das gelingt der Filmemacherin durch die sensible Komposition ihres Films, durch die wunderbare Arbeit ihrer Darsteller, wie Johanna Orsini als Marias Mutter und Oskar Haag als Arnulf Rainer, und es gelingt ihr durch den absoluten Einsatz ihrer Hauptdarstellerin Birgit Minichmayr, die es wieder einmal schafft, zu überraschen und vollends zu überzeugen.

Von Mariella Moshammer

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