Mo Harawe feiert in Cannes Premiere: „Zeigen, wie es ist“

Gleich mit seinem ersten Langspielfilm „The Village Next to Paradise“ hat es Mo Harawe ins Cineastenparadies Cannes geschafft. Heute, Mittwoch, startet er Richtung Côte d’Azur. Doch kurz vor seinem Abflug schwebt der in Somalia geborene Wahlwiener keineswegs im siebenten Himmel. „Das Festival ist Teil der Arbeit. Ich mache alles, was dem Film nützt. Und klar: Die größte Aufmerksamkeit bekommt er in Cannes“, analysiert er nüchtern im Gespräch mit der APA.

„The Village Next to Paradise“ feiert am kommenden Dienstag um 11.15 Uhr Weltpremiere im Palais des Festivals. Harawes Film geht als 13. von 18 Beiträgen der renommierten Reihe „Un certain regard“ an den Start – und rittert auch um die Camera d’Or, die Auszeichnung für den besten Erstlingsfilm. Eröffnet wird diese Festivalschiene heute Abend mit „Ljosbrot (When the Light breaks)“ des isländischen Regisseurs und Drehbuchautors Rúnar Rúnarsson.

Die bisherige Filmliste des 1992 in Mogadischu geborenen somalisch-österreichischen Regisseurs ist beeindruckend und reicht von dem siebenminütigen „Wait a minute“ bis zu „Life on the Horn“ (2020) und „Will My Parents Come to See Mee“ (2022), den beiden 25- bzw. 28-minütigen Kurzfilmen, die seinen internationalen Durchbruch samt Auszeichnungen und Festivaleinladungen bedeuteten. War sein erster Langfilm daher nur eine Frage der Zeit? „Ich wollte schon vor Jahren meinen ersten Langfilm drehen“, sagt Mo Harawe. Doch sein Drehbuch „Nach Mogadischu“, das die Fluchtbewegung umdrehte und einen Migranten der Liebe wegen in seine Heimat zurückkehren lässt, blieb unverfilmt. „Ich weiß eigentlich nicht wirklich, warum es diesmal geklappt hat. Es spielen dabei so viele Faktoren eine Rolle. Glück ist einer davon.“

Glück. Schicksal. Harawe klingt bescheiden, fast ratlos, wenn man ihn danach fragt, wie ein junger Mann aus einem Land, in dem es kaum eine Filmszene gibt und das in den Rankings der ärmsten Länder regelmäßig ganz am Ende zu finden ist, zum Filmregisseur wurde. In Somalia gebe es durchaus eine Literatur- und Theatertradition, erzählt er, „aber ich weiß nicht, in welchem Moment ich entschieden habe, Filme drehen zu wollen. Ich war auf einmal mitten drinnen – und dann gab es keinen Weg zurück. Ich habe für das Erzählen eine Sprache gesucht, die universell ist.“

Mit 17 flüchtete er aus Somalia, blieb in Österreich hängen (Mo Harawe, lächelnd: „Schicksal!“) und fand hier zum Film – nicht allerdings in entsprechende Ausbildungen. Zweimal bewarb er sich an der Filmakademie Wien, zweimal wurde er abgelehnt. Also ging er den Weg des „Learning by doing“. Dass er später ein Studium an der Kunsthochschule Kassel absolvierte, habe keine praktischen Gründe gehabt, erzählt er. „Was ich handwerklich zum Filmemachen gebraucht habe, wusste ich da schon. Ich hab dann eher aus Gründen der Horizonterweiterung studiert – und natürlich ist es nicht schlecht, einen Abschluss zu haben.“

Dass er Filmdramaturgie und ungewöhnliche Bildsprachen beherrscht, hat er in seinen bisherigen Filmen bewiesen. „The Village Next to Paradise“ zeigt nun den herausfordernden Alltag einer Familie in einem somalischen Dorf, ohne ein besonderes Drama daraus zu machen, und gibt seinen Protagonisten – ein vorwiegend als Totengräber arbeitender Gelegenheitsarbeiter, seine bei ihm wohnende Schwester und sein kleiner Sohn – viel Raum. Dahinter stecke kein bestimmtes Konzept, erklärt der Regisseur. „Wichtig ist mir aber, dass ich die Zuschauer nicht nur auf einer inhaltlichen Ebene, sondern auch auf der Gefühlsebene erreiche. Ich muss dafür ein Vertrauen aufbauen, damit sie mir bzw. meinen Figuren folgen. Respekt ist dabei sehr wichtig. Es geht um Menschen. Das ist das Wichtigste. Es war mein Ziel, eine universelle Geschichte zu erzählen.“

Gedreht wurde in Somalia. „Rund 70 Prozent des Teams waren Somalier, teilweise auch aus der Diaspora. Alle Protagonisten standen das erste Mal vor der Kamera – haben aber wie Profis einen fantastischen Job gemacht.“ Schon zum dritten Mal ist Mo Harawe, der mittlerweile die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, zum Drehen in sein Heimatland zurückgekehrt. „Ich bin privilegiert. Ich kann jederzeit wieder raus. Das verändert natürlich die Perspektive. Ich habe den Eindruck, vieles ist besser geworden. Aber ich kann nicht alles sehen. Ich kann nur erahnen, was schiefläuft. Aber ich sehe, dass die Leute nicht aufgeben und nicht ohne Hoffnung sind. Sie spüren trotz allem eine Freiheit und verstehen es, sie zu nützen.“

Auch sein Film zeigt diese Ambivalenz. „Jede Entscheidung, die die Menschen treffen, ist von diesem spezifischen Hintergrund beeinflusst“, sagt der Regisseur, der diesen Background in seinen zwei Vorgängerfilmen ausgeleuchtet hatte: „Life on the Horn“ zeigte eine Vater-Sohn-Geschichte in einer von illegalen Giftmüllentsorgungen verseuchten Küstenlandschaft, „Will My Parents Come to See Mee“ einen jungen Mann in der Todeszelle. „The Village Next to Paradise“ zeigt nun die Alltagssorgen – und immer wieder neue Versuche, ihnen zu begegnen. „Der ganze Film ist ein Versuch zu zeigen: Egal, wie schwer es sie haben – diese Menschen stehen auf und gehen weiter“, sagt Mo Harawe. „Ich will zeigen, wie es ist – ohne zu sagen, es gibt keine Probleme. Die gibt es. Sie kommen von außen und von innen. Aber dazwischen sind Menschen. Einfach Menschen.“

(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)

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