Rudolf Lonauer, Linzer Psychiater und als ärztlicher Leiter der Euthanasieanstalt Hartheim für unzählige Morde verantwortlich, entzog sich zu Kriegsende durch Selbstmord seiner Strafe. Andere hochrangige NS-Täter flohen früh genug. Von den 70 bis 80 Mitarbeitern, die in der Tötungsanstalt Hartheim tätig waren, wurden nach dem Krieg zwölf vor Gericht gestellt, zwei verurteilt.
Alle Angeklagten kamen aus unteren Rängen und rechtfertigten sich damit, gezwungen gewesen zu sein, Befehle auszuführen. Ein neues Buch, das aus der Zusammenarbeit der Lern- und Gedenkstätte Hartheim und des Wiener Wiesenthal Instituts entstand, beschäftigt sich mit den Tätern und deren Motiven und damit, wie die Tötungsindustrie der Nazis funktioniert hat. Die Beiträge von erfahrenen Wissenschaftern und jungen Forschern in „Beyond Hartheim“ basieren auf einem Kolloquium 2017 in Hartheim.
Wie ,normale‘ Menschen zu Tätern werden konnten
„Die laufende Forschung und das Erinnern sowie Vermitteln der Verbrechen der NS-Euthanasie ist auch 75 Jahre nach der NS-Zeit von großer Bedeutung. Es stellt sich die Frage, wie ,normale‘ Menschen zu Täterinnen und Tätern werden konnten … Durch die Publikation wird ein Beitrag zur Beantwortung dieser schwierigen und unbequemen Fragen geleistet“, sagte Landeshauptmann Thomas Stelzer bei der gestrigen Präsentation. In den 1950ern und 1960ern habe man sich damit zu beruhigen versucht, dass sich die Täter durch eine abnormale Persönlichkeitsstruktur auszeichnen und so aus der bürgerlichen Gesellschaft herausfallen würden, erklärte Brigitte Keplinger, Obfrau des Vereines Schloss Hartheim. Jüngere Forschung ergebe beunruhigende Befunde: Die Täter waren ganz normale Menschen, die Arbeit in Hartheim sicher, die Arbeitszeiten günstig, der Verdienst gut, Mann musste dafür nicht an die Front. Banale Gründe also, die Menschen zu Tätern werden ließen. Dazu eine Diktatur, die solche Taten für legitim und wünschenswert erachtete und so die Täter moralisch entlastete.
Globocnik und sein tödliches Netzwerk
Der Beitrag des Historikers Bertrand Perz beschäftigt sich mit dem österreichischen „Vorzeige-Nazi“ Odilo Globocnik und seinem tödlichen Netzwerk. Führendes Personal der „Aktion Reinhard“, im Rahmen derer in Belzec, Treblinka und Sobibor zwischen 1,5 und zwei Mio. Juden und Roma ermordet wurden, kam aus den Tötungsanstalten der „Aktion T4“, der rund 70.000 Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Beeinträchtigungen zum Opfer fielen, wie die Publikation zeigt. In Hartheim waren es von Mai 1940 bis August 1941 18.269 Menschen. Die T4-Täter trugen mit ihrem Know-how in der Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ maßgeblich zur Industrialisierung des Holocaust bei. Rund ein Drittel der Belegschaft von Hartheim wirkte nach den Morden der T4 an der Vernichtung der europäischen Juden in Polen mit. Unter ihnen mehrere Oberösterreicher — darunter die Kommandanten von Sobibor und Treblinka, Franz Reichleitner und Franz Stangl, die zuvor in Hartheim leitende Positionen innehatten.
Angelika Benz thematisiert die „Trawniki-Männern“, osteuropäische Helfer der SS in Polen, die sich in den Dienst der Nazis stellten, um zu überleben. Bei Rudolf Lonauer (Beitrag von Simone Loistl) kamen Ideologie und Karrieremotive zusammen. In einer deutschnationalen Familie aufgewachsen, studierte er Medizin in Graz, wo rassenhygienische Ideen verfolgt wurden. Lonauer wurde Direktor der Landes-Heil- und Pflegeanstalt Niedernhart, 1941 dann ärztlicher Leiter in Hartheim. Der überzeugte Nationalsozialist war als T4-Gutachter beteiligt an der Opferauswahl und der Ermordung Tausender.
Philipp Rohrbach, Florian Schwanninger (Hrsg.): „Beyond Hartheim. Täterinnen und Täter im Kontext von ,Aktion T4′ und ,Aktion Reinhard’“. StudienVerlag, 150 S., € 19,10