Musiker Peter Zirbs schuf ein „virtuelles Refugium“

Mit den Sounds von Peter Zirbs lässt sich die Apokalypse wegtanzen © APA/EVA MANHART

Wenn die Welt am Abgrund steht, hilft vielleicht ein Streifzug über den „Melancholia Beach“: Der Wiener Elektronikmusiker Peter Zirbs hat so sein zweites Soloalbum betitelt, das am Freitag erscheint. Eigentlich wollte er darauf ein apokalyptisches Szenario entwerfen, doch dann hat ihn die Realität eingeholt. „Ich habe gemerkt: Es ist absolut bescheuert, über die Apokalypse zu singen. Wir sind schon einen Schritt weiter.“ Stattdessen gibt es nachdenkliche Dancegrooves.

Zirbs ist seit den späten 1990ern Teil der heimischen Musikszene und hat in unterschiedlichsten Projekten seine Spuren hinterlassen. 2018 legte er mit „What If We Don’t Exist?“ ein spätes, durchaus melancholisches Solodebüt vor, das sich vorwiegend in atmosphärischen Gefilden aufhielt. Direkt im Anschluss fasste er den Plan zu einer düsteren Platte. „Ich fühlte mich unwohl mit der Planetenerwärmung, mit diesem und jenem. Das war wohlgemerkt alles vor Corona und den jetzigen Kriegen sowie der deutlich spürbaren Spaltung der Gesellschaft“, hält er im APA-Gespräch fest. „Ich habe das als cool und sexy empfunden, habe damit kokettiert.“

Doch es kam anders: Die Entwicklungen der vergangenen Jahre verdeutlichten dem „prinzipiell optimistischen Menschen“ nur: „Shit, der Punkt, an dem man das alles noch abwenden kann, ist vorbei.“ Also warf er sein musikalisches Untergangsszenario über Bord und widmete sich fortan ziemlich tanzbaren Grooves sowie dem klassischen Popformat. Sein „Melancholia Beach“ ist zwar allen voran textlich mit vielen ernsten Facetten versetzt, zieht die Hörer aber nicht runter, sondern setzt einen positiv getrimmten und auf den Dancefloor entführenden Sound als Gegenpol.

„Ich bin ja auch älter geworden in diesen fünfeinhalb Jahren. Es ist wahrscheinlich ein Generationsding für mich“, überlegt Zirbs. „Das ist nicht negativ gemeint, es ist einfach so. Mir ist bewusst geworden, welche Generation wir als Gen X tatsächlich sind. Das Aufwachsen mit der Digitaltechnik, das Aufwachsen in einer Zeit des Überflusses. International gesehen der Fall des Eisernen Vorhangs da, Europa dort! Und dann stehst du mit Anfang 50 da und denkst dir: Wo ist das alles hin?“ Für ihn wurde der „Melancholia Beach“ zu einem „virtuellen Refugium in einer parallelen Timeline – und hoffentlich ist er das auch für andere. Man nimmt sich raus aus dieser Welt.“

Ein Album als Möglichkeit des Eskapismus, ohne aber aktuelle Tendenzen und Gegebenheiten zu negieren. Die durchaus dramatischen Texte habe er „in ein positives Ding“ verpackt, „um mich nicht in der Depression zu suhlen. Man merkt: Fuck, es geht vielleicht wirklich alles den Bach – oder das Meer – runter, aber man schöpft trotzdem Optimismus und Kraft, um dem etwas entgegenzusetzen.“ Obwohl Nostalgie ein starkes Gefühl sei, sieht er sich nicht als Mensch, der die Vergangenheit verklärt. „Ich sage sicher nicht, dass früher alles besser war. Die Jugend heute halte ich für wesentlich intelligenter als meine Generation. Mit 18 war ich ein Gfrast und hatte keinen Dunst von irgendwas. Wenn irgendwer den Karren wieder rausreißt, dann sind es sicher nicht die Alten“, schließt er lachend.

Video
Ich möchte eingebundene Social Media Inhalte sehen. Hierbei werden personenbezogene Daten (IP-Adresse o.ä.) übertragen. Diese Einstellung kann jederzeit mit Wirkung für die Zukunft in der Datenschutzerklärung oder unter dem Menüpunkt Cookies geändert werden.

Gleichzeitig bedeutet das nicht, dass sich Zirbs mit diesen Songs an moderne Trends anbiedert. Vielmehr vermählt er einen ungemein authentischen 80er-Touch mit modernen Produktionsmethoden, bringt mit „Say Something“ oder „White City“ Stücke für den Club, während das The-Cure-Cover „A Forest“ eher cineastisches Flair versprüht und „Ridesharing“ mit unkonventionellen Texturen beglückt. Er wollte sich mit dem Großteil der Stücke bewusst an gängige Radioformat-Spielregeln halten. „Es gab immer Artists, die innerhalb dieser Vorgaben trotzdem fantastische Musik gemacht haben“, führt er Duran Duran oder die Pet Shop Boys an.

Ein bekannter Name taucht bei „Melancholy Mary“ auf: Falco-Songwriter Rob Bolland veredelt das Lied mit seinem Gesang. „Es ist das erste Vocalfeature, um das ihn seit Jahrzehnten jemand gefragt hat“, erzählt Zirbs mit hörbarer Begeisterung von der Zusammenarbeit mit einem seiner Jugendhelden. „Ich war immer ein riesiger Falco-Fan. Da dachte ich natürlich, dass Rob und Ferdy Bolland coole Typen sein müssen, wenn sie für Falco Songs geschrieben haben. Mittlerweile ist Rob 73, war im Studio aber wie 16. Es ging ihm einfach um die Musik.“

Etwas, was sich wohl auch für Peter Zirbs selbst sagen lässt. „Die Musik ist absolut Ventil und Therapie“, nickt er. „Egal wie schwierig es ist, mir ein paar Stunden im Studio abzuringen, es geht mir danach besser. Da muss nicht mal ein Song rauskommen, es reicht eine leiwande Snare oder ein halber Beat.“ Wobei man in der Endphase einer Albumproduktion als Künstler durchaus manische Züge entwickeln könne. „Das Loslassen tut schon gut“, lacht Zirbs. „Da denkst du auch: Peter, lass es für heute gut sein. Du hörst nix mehr. Geh raus und schau, wie es dort ausschaut.“ Zuvor aber ab auf den „Melancholia Beach“ und die aktuellen Probleme ein bisschen wegtanzen. Die nächste Krise kommt bestimmt.

(Das Gespräch führte Christoph Griessner/APA)

peterzirbs.bandcamp.com; peterzirbs.com

Das könnte Sie auch interessieren