Neues ORF-Chefredakteurstrio sieht Attacken der FPÖ gelassen

++ HANDOUT ++ Die drei neuen ORF-Chefredakteure Prokop, Waldner und Bruckenberger © APA/ORF/HANS LEITNER

Gabriele Waldner, Johannes Bruckenberger und Sebastian Prokop sind seit 1. Dezember als neues Chefredakteurstrio des multimedialen ORF-Newsroom tätig. Im APA-Interview treten sie zu dritt auf, passe zwischen sie doch „kein Löschblatt“, versichert Bruckenberger. Im Gespräch klären sie über die „Aufbruchstimmung“ im Newsroom auf, kündigen eine Aufwertung des Social-Media-Auftritts an und sehen verbale Attacken der FPÖ auf das öffentlich-rechtliche Medienhaus betont gelassen.

APA: Mit Ihnen als Chefredakteurstrio ist eine neue Organisationsstruktur und Arbeitsweise im ORF-Newsroom eingezogen. Gearbeitet wird in multimedialen Ressorts (Leitung: Waldner), es gibt aber auch einen eigenen Newsdesk für schnelle Onlinenachrichten (Leitung: Prokop) sowie eigene Sendungs- und Plattformteams (Leitung: Bruckenberger). Hat sich das neue System bewährt?

Gabriele Waldner: Wir sind mitten in der Transformationsphase. In einigen Bereichen ist schon sehr viel weitergegangen – etwa in den multimedialen Fachressorts, wo mit 15. Februar neue Leitungen bestellt worden sind. Seither hat sich dort die Hinwendung zum multimedialen Produzieren stark dynamisiert. Es herrscht eine Aufbruchsstimmung.

APA: Müssen die ORF-Journalisten also TV, Radio und Online bespielen können?

Waldner: Unser Ziel ist, dass alle in absehbarer Zeit in allen Mediengattungen arbeiten können. Ob das auch für alle an allen Tagen nötig ist, ist eine andere Frage. Wenn am Vormittag eine hochrangig besetzte Pressekonferenz stattfindet, die wir in allen Mediengattungen und Formaten abbilden wollen, dann wird nicht nur eine Person die Hörfunknachrichten zu Mittag und die „ZiB 13“ bedienen und dann auch noch einen Onlineartikel verfassen. Das geht sich nicht aus.

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Sebastian Prokop: Wir haben die Multimedialität nicht neu eingeführt. Die ORF-Korrespondentenbüros sind ein gutes Beispiel, sie arbeiten immer schon multimedial. Es gibt aber auch Experten, die weiterhin in einem Medium arbeiten. Das ist gut und richtig, auch das brauchen wir.

Johannes Bruckenberger: Wenn ich mir anschaue, wie lange Medienhäuser abseits des ORF gebraucht haben, um ihre Print- und Onlineredaktionen zusammenzuführen und manche immer noch damit beschäftigt sind, dann sind wir hier im ORF-Newsroom in einem Höllentempo unterwegs.

APA: Tragen die ORF-Journalistinnen und -journalisten dieses Höllentempo auch mit?

Waldner: Im Vorjahr gab es viel Skepsis und Unsicherheit. Aber seit die neuen Ressortleitungen im Amt sind, hat sich in meinem Bereich viel getan. Man sieht, wie die große Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen neugierig ist, sich ausprobiert und mit Enthusiasmus dabei ist.

APA: Was ändert sich unter Ihnen? Gibt es große Umbaupläne oder wollen Sie das Schiff möglichst ohne Wendemanöver durch den Nachrichtensturm steuern?

Bruckenberger: Zwischen uns passt kein Löschblatt. Wir arbeiten als Team an der Weiterentwicklung unserer Sendungen, und es gibt viel zu tun. Wir haben heuer ein Superwahljahr, da fließt viel Kraft hinein, damit wir auf allen Kanälen ein umfassendes Angebot liefern. Wir haben im Debatten- und Diskussionsbereich eine Mischung aus Elefantenrunden, großen Interviews und Zweiergesprächen – jeder gegen jeden – geplant. Zu den EU-, US- und Nationalratswahlen planen wir weitere Ausgaben unseres neuen „ZiB“-Familienmitglieds „ZiB Wissen“ und zur EU-Wahl einen Podcast mit Hans Bürger.

Waldner: Zur EU-Wahl wird die junge Kollegin Verena Sophie Maier eine Reise durch Europa machen und das nicht nur für ihr angestammtes Medium – den Hörfunk -, sondern auch für Social Media. Konkret wird sie für das im Mai erscheinende Projekt als @eurosophie auch für den „ZiB“-TikTok-Kanal unterwegs sein.

Prokop: Die großen linearen Kanäle müssen und wollen wir weiter bedienen, parallel aber auch die neue Medienwelt und jüngere Zielgruppen. Wir werten den Social-Media-Bereich auf und entwickeln neue Formate. Wir befassen uns derzeit etwa intensiv damit, wie wir auf YouTube präsent sein werden. Armin Wolf hat mit der Social-Media-Redaktion bereits ein Konzept erarbeitet.

APA: Die ORF-Diskussionsformate werden offenbar evaluiert. Braucht es rund um „Im Zentrum“ und Co. frischen Wind?

Bruckenberger: Wir schauen uns derzeit an, mit welchen Formaten wir ab Herbst weitergehen wollen. Am Sonntagvormittag haben wir bereits „Die Runde“ neu konzipiert. Sie soll regelmäßig stattfinden, um auch im Wahljahr mehr Einordnung und Hintergrund zu liefern.

APA: „Im Zentrum“ könnte ein Aus drohen?

Bruckenberger: Das wird man am Ende des Prozesses sehen. Ich schaue die Sendung an, manche Themen interessieren mich mehr als andere. Wir haben zuletzt schon ein bisschen am Design geschraubt.

APA: Der ORF spart seit Jahren, viele Pensionierungen werden nicht nachbesetzt. Heuer ist ein Superwahljahr. Ist das ORF-Infoteam dafür gerüstet?

Waldner: Wir werden das Menschenmögliche tun. Wir sind sehr effizient unterwegs, bei uns gibt es nicht viel Luft. Wir sind zuversichtlich, dass sich die Geschäftsführung dessen auch bewusst ist und uns gerade im Wahljahr nicht über Gebühr zum Sparen zwingt.

APA: Mit der Umstellung der GIS-Gebühren auf eine Haushaltsabgabe hat ORF-Generaldirektor Roland Weißmann den „ORF für alle“ ausgerufen und ihn seitdem vielfach beschworen. Ist der ORF mit seinem Angebot schon dort?

Prokop: Wir wollen alle Menschen mit zumindest einem Angebot erreichen und überprüfen aktuell alle Formate auf ihre Akzeptanz. Orten wir Lücken, wollen wir sie schließen.

Waldner: Wir diskutieren viel darüber, ob wir manche Bevölkerungsgruppen überversorgen, während wir andere vielleicht unterversorgen oder gar nicht erreichen. Wir werden dem Wunsch des Publikums nach „constructive news“ Rechnung tragen – also aufzeigen, dass in Österreich und auf der Welt Dinge auch gut laufen. In der Medienwelt ist es leider so, dass wir ein sehr dystopisches Bild zeichnen und selten darauf schauen, was funktioniert. Aber das heißt nicht, dass wir deshalb unkritisch werden.

APA: Ein äußerst breitenwirksames ORF-Informationsangebot ist die „blaue Seite“ ORF.at. Sie wurde mit Jahresbeginn basierend auf einer Gesetzesnovelle umgebaut und ist nun video- und audiolastiger. Große Veränderungen beim Textangebot blieben aber aus – zum Ärger der Verleger, die Zeitungsähnlichkeit monieren und eine Mogelpackung orten. Nachvollziehbar?

Prokop: Den Ärger kann ich nicht nachvollziehen. Eine Mogelpackung ist es ganz bestimmt keine. Was wir machen, ist gesetzeskonform. Im Gesetzwerdungsprozess waren alle Beteiligten involviert. Wir setzen die Novelle einfach nur gut um. Prinzipiell hat sich die Seite stark verändert, die Anzahl der Meldungen ist reduziert worden. Wir übererfüllen die Vorgaben sogar. Gleichzeitig war es der Start eines Prozesses. ORF.at wird sich weiterentwickeln, und in den nächsten Monaten wird man sehen, was wir etwa mit der Videoberichterstattung noch machen.

APA: Namhafte Journalisten sind in den vergangenen Jahren über Chats gestolpert, die eine problematische Nähe zur Politik offenbarten – darunter auch Ex-ORF-TV-News-Chefredakteur Matthias Schrom. Wie halten Sie die Kommunikation mit politischen Entscheidungsträgern?

Waldner: Auf einer absolut professionellen Ebene. Professionelle Distanz ist das Um und Auf. Niemand von uns hat ein Interesse daran, diese Distanz nicht zu wahren.

APA: Speziell Vertreter der FPÖ reiten viele Attacken gegen den ORF und stellen immer wieder dessen Unabhängigkeit in Frage. Sehen Sie das entspannt oder beunruhigt Sie das?

Waldner: Es gibt keinen Grund, beunruhigt zu sein. Es ist Teil des Wahlkampfs, der sich schon anbahnt. Wir werden das gelassen beobachten.

Bruckenberger: Wir halten unseren Kurs des unabhängigen, objektiven, faktenbasierten und kritischen Qualitätsjournalismus. Es passt in ein Gesamtbild gewisser politischer Strömungen, dem Journalismus die Glaubwürdigkeit abzusprechen, um das Publikum dann über eigene Kanäle zu erreichen. Wir kennen das aus den USA von Donald Trump.

APA: Haben Sie das Gefühl, dass viele aus der Bevölkerung das Vertrauen in den ORF verloren haben?

Bruckenberger: Das Thema Vertrauen in die Medien ist generell ein Thema. Es gibt eine gewisse Diskrepanz der öffentlichen Meinung und der veröffentlichten Meinung. Teile der Politik versuchen, unabhängigen Journalismus zu desavouieren. Und der ORF ist zum Teil mit einer feindseligen Berichterstattung durch andere Medien konfrontiert – aus Konkurrenzgründen. Umfragen des ORF zeigen, dass ein großer Teil unseres Publikums sehr zufrieden mit dem gelieferten Angebot ist. Aber wir müssen an dem Thema Vertrauenswürdigkeit arbeiten.

APA: Der Verfassungsgerichtshof hat festgestellt, dass die Regierung zu viel Einfluss bei der Besetzung von ORF-Stiftungs- und -Publikumsrat hat. Haben Sie den Eindruck, der ORF ist noch in den Fängen der Parteipolitik und wirkt diese bis in den Newsroom hinein?

Waldner: Ich habe diesen Eindruck nicht. Wir arbeiten in der Redaktion vollkommen unabhängig und selbstständig. Wir drei stehen dafür, das der Redaktion zu ermöglichen.

APA: Demnächst tritt ein Ethikkodex in Kraft, der Nebenbeschäftigungen und Social-Media-Auftritte von ORF-Mitarbeitern klarer regeln soll. Längst überfällig oder übertrieben?

Prokop: Klare Regeln sind sinnvoll und stärken unsere Glaubwürdigkeit.

Bruckenberger: Der Generaldirektor hat es bereits gesagt: Es ist ein Pakt mit dem Publikum. Ich fühle mich dadurch ganz sicher nicht in irgendwelchen Aktivitäten eingeschränkt. Mein Zugang ist aber ohnehin, dass ich mich mehr als Beobachter auf der Tribüne sehe und nicht so sehr als Teil einer Arena, wie es manche Journalisten – nicht nur im ORF – in sozialen Medien praktizieren. Ich würde mir da generell mehr Zurückhaltung wünschen, weil das auch mit Glaubwürdigkeit zu tun hat.

APA: Junge Leute sind das Publikum der Zukunft für den ORF. Wie gewinnt man diese?

Prokop: Wenn man das ganz junge Zielpublikum betrachtet, kann man auf den großen Erfolg des „ZiB“-Kanals auf TikTok verweisen. Es ist ein gutes Beispiel dafür, wo wir es mit einer Marke – der „ZiB“ – in ein Publikumssegment schaffen, das die Sendung im Fernsehen selten bis gar nicht schaut. Was für meine Altersgruppe ein normaler Bericht ist, ist für Jugendliche oder junge Erwachsene heutzutage schon kaum mehr annehmbar, weil es nicht mehr die Art ist, wie sie angesprochen werden wollen. Hier sind wir laufend auf der Suche nach den richtigen Zugängen – auch in einer Vernetzung mit anderen Medienhäusern.

Waldner: Wir achten darauf, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die die Inhalte präsentieren oder die Berichte herstellen, jünger und diverser werden. Nur so kann man bestimmte Zielgruppen auch glaubwürdig erreichen. Wir haben hier Nachholbedarf, das ist völlig klar.

APA: Wie lange sehen Sie sich an der Spitze des multimedialen Newsrooms?

Prokop: Ich habe noch 15 Jahre bis zur Pension.

Waldner: Ich habe noch elf Jahre.

Bruckenberger: Ich lebe ganz im Hier und Jetzt. Ich versuche, solange es gewünscht wird, den Job bestmöglich zu machen.

Prokop: Wir sind jedenfalls sehr motiviert. Wir glauben, dass wir in dieser Konstellation viele Projekte umsetzen können – und hoffentlich haben wir dafür viel Zeit.

(Das Gespräch führte Lukas Wodicka/APA)

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