„No Bears“: Panahis ruhige Reflexion über Repression

Iranischer Regisseur verpackt seine schwierig (Arbeits-)Situation in einen Film über politischen und kulturellen Druck

Der iranische Regisseur Jafar Panahi muss kreativ sein, um Filme zu machen. Nicht nur aus künstlerischer Sicht, sondern auch, um ein gegen ihn verhängtes Berufsverbot zu umgehen. Wegen angeblicher Propaganda saß er im Teheraner Gefängnis Evin ein, wurde aber nach mehreren Monaten Haft im Vorjahr auf Kaution entlassen. „No Bears“ (Original: „Khers nist“) entstand bereits zuvor, reflektiert über seine (Arbeits-)Situation und erzählt zwei Liebesgeschichten.

Zwei Liebesgeschichten

Langsam bewegt sich die Kamera durch ein belebtes Stadtviertel und macht bei einer Kellnerin Halt, die in der Vergangenheit nicht nur eine Gefängnisstrafe absitzen musste, sondern auch gefoltert wurde. Ihr Freund hat ihr einen gefälschten Pass besorgt, mit dem sie nun in die EU reisen soll. Sie weigert sich jedoch: Nur mit ihrem Freund gemeinsam würde sie das Land verlassen. Und Cut! Panahi hat so manche Anmerkung für die Darsteller parat. Nur fällt es dem Mittsechziger schwer, diese auch zu äußern. Er sitzt in einem kleinen iranischen Dorf an der Grenze zur Türkei und verfolgt den Filmdreh per Laptop. Die Verbindung erweist sich als launisch.

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Zu einer Auszeit vom Dreh gezwungen, wandert der Regisseur, der nicht das erste Mal in einem seiner Filme die Hauptrolle spielt, durch das mit schiefen Wänden, so manchem Huhn und steilen Stufen versehenen Dorf. Er macht ein Foto hier, ein Foto dort – und blöderweise auch eines von einem jungen Paar. Wie sich rasch herausstellt, ist die junge Frau Gozal nämlich nicht ihrer Liebe Soldooz, sondern einem anderen Mann von Geburt an versprochen. Wenn er die Aufnahme nicht löscht, breche die Hölle los, befürchtet Gozal. Recht hat sie. Rasch sprechen zahlreiche Männer bei Panahi vor und verlangen die Herausgabe des Beweismaterials. Dieser weigert sich jedoch, was noch für Aufregung sorgen soll.

Panahi lässt sich Zeit für den Aufbau der beiden Handlungsstränge. Eine lange, geruhsame Einstellung folgt auf die nächste. Die überschaubare Narration lässt somit viel Raum, über die tatsächliche Situation des renommierten Regisseurs, die Freiheit der Kunst und verschiedene Formen der Repression zu sinnieren. Am stärksten ist „No Bears“, wenn Panahi als wahlweise er selbst oder Variante seiner selbst auslotet, wie weit er mit seinem verbotenen Filmdreh gehen kann. Soll er die verwaiste Grenze zur Türkei nächtens überqueren, um seiner Crew bessere Anweisungen erteilen zu können? Soll er die Arbeit abtreten?

Ausgezeichnet in Venedig

Die Einschränkungen, mit denen „No Bears“, der bei den Filmfestspielen von Venedig mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet wurde, konfrontiert ist, tun dem Werk nicht weh. Panahi hat es gelernt, allen Widrigkeiten zum Trotz gute Filme herzustellen, die gerade auch durch ihre produktionstechnischen Limitierungen für frischen Wind sorgen. Dennoch wäre es dem Regisseur zu wünschen, seine Arbeit frei vom Repressalien ausüben zu können. Immerhin konnte er im Vorjahr nach 14 Jahren erstmals wieder den Iran verlassen, um seine Tochter in Frankreich zu besuchen. Wer weiß, ob er dabei bereits Inspiration für seinen nächsten Film gesammelt hat.

Von Lukas Wodicka

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