Gorizia (Görz) in Italien und das in Slowenien gelegene Nova Gorica wagen im kommenden Jahr eine Grenzüberschreitung. Denn die beiden Nachbarstädte dürfen sich 2025 die erste grenzüberschreitende Kulturhauptstadt Europas nennen. Stimmiges Motto: „Go!Borderless“. „Wir haben eine schwierige, teils blutige Vergangenheit, und darum bedeutet es so viel, dass wir nun so intensiv zusammenarbeiten“, freut sich Neda Rusjan Bric, künstlerische Beraterin des Projekts, im APA-Gespräch.
In der Historie der beiden Kleinstädte mit jeweils rund 35.000 Einwohnern spiegelt sich gewissermaßen die Weltpolitik des vergangenen Jahrhunderts. Gorizia in der Region Friaul-Julisch Venetien ist dabei die viel ältere Stadt, die einst Teil der österreichisch-ungarischen Monarchie und ein beliebter Winterkurort war und nach dem Ersten Weltkrieg Italien zugeschlagen wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Grenze 1947 neu gezogen, die östlichen Ausläufer der Stadt waren plötzlich jugoslawisch. „Gorizia hatte zwei Bahnhöfe. Einer davon war mehr oder weniger das einzige Gebäude auf der jugoslawischen Seite, sonst gab es nichts. Deshalb wurde entschieden, Nova Gorica (übersetzt: Neu-Gorizia, Anm.) zu bauen“, erklärt Bric, die als Schauspielerin und Theaterregisseurin arbeitet. Seit der Auflösung Jugoslawiens 1991 gehört es zu Slowenien, seit 2007 kann die Staatsgrenze zu Italien aufgrund des Schengen-Abkommens, dem Slowenien beigetreten ist, an jeder beliebigen Stelle überschritten werden – wobei im Zuge der Covid-Pandemie 2020 für Monate wieder echte Grenzzäune hochgezogen wurden.
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Aufgrund eines festgelegten Turnusprinzips war schon vor Jahren klar, dass 2025 Slowenien – neben Deutschland mit Chemnitz – eine Kulturhauptstadt küren darf. Im Zuge der Bewerbung mit Nova Gorica sei sofort die Idee da gewesen, Gorizia als Partnerstadt einzuladen, berichtet Bric: „Das ist doch eine europäische Vorzeigestory! Zwei unterschiedliche Kulturen, die ihre Geschichte zwar nicht vergessen, aber auch gemeinsam Zukunft gestalten können.“ Ziel des Kulturhauptstadtprojekts sei es, Vorurteile zu überdenken, sich zu öffnen und ohne Grenzen zu denken, erklärt die Beraterin das Motto „Go!Borderless“. „Natürlich ist es ein Festival mit Performances, Konzerten, mit Impulsen für den Tourismus, aber in erster Linie geht es darum, die Sichtweise der Menschen in der Region zu ändern und Leute grenzüberschreitend zusammenzubringen.“
Obwohl das genaue Programm erst im Herbst präsentiert wird, kann Bric bereits einen Vorgeschmack geben. So wird etwa das Thema Grenze – teils spielerisch – angegangen. Entlang der früheren Sperrzone entsteht beispielsweise gerade ein breiter Grüngürtel als transnationaler Erholungsraum mit diversen Attraktionen. So kann man auf einem Spielplatz etwa zwischen den zwei Staaten hin- und herschaukeln. Teil davon ist auch das „Epicenter“, das auf jenem Bahnhofsvorplatz – die Slowenen nennen ihn Trg Evrope, die Italiener Piazza Transalpina – entsteht, der vormals vom Grenzverlauf in der Mitte durchschnitten wurde und das gewissermaßen als Zentrum der Kulturhauptstadt dienen soll.
Über das Sichtbarmachen und im besten Fall Überwinden festgefahrener Sichtweisen auf das 20. Jahrhundert soll es im nahe gelegenen EPIC, einem in einer ehemaligen Lagerhalle untergebrachten neuen Museum, gehen. „Ein historisches Ereignis wird oft unterschiedlich betrachtet. Ein Beispiel: Österreich-Ungarn konnte die Italiener in einer der blutigsten Kämpfe des Ersten Weltkriegs, der Zwölften Isonzoschlacht, zurückdrängen. Noch heute nennen es die Slowenen, die damals aufseiten der Monarchie gekämpft haben, ‚Das Wunder von Caporetto‘ , während in Italien von der ‚Katastrophe von Caporetto‘ die Rede ist“, so Bric. Man wolle einen Beitrag zum „Ausbrechen aus historischen Bubbles“ leisten.
Auch wenn bereits jetzt grenzüberschreitendes Arbeiten, Einkaufen oder Ausgehen fest im Alltagsleben verankert ist, sollen die beiden Regionen auch kulturell mehr zusammenwachsen – und damit auch sprachlich. Um das gegenseitige Verständnis im wahrsten Sinn des Wortes zu fördern, sind verschiedene Workshops geplant. „Wir wollen in einem Jahrzehnt eine Art passive Zweisprachigkeit erreichen“, formuliert Bric.
Darüber hinaus gibt es Programme zu Natur und Nachhaltigkeit, wobei etwa der durch beide Länder fließende Fluss Soča bzw. Isonzo eine Rolle spielen soll. Das jährliche traditionelle Gourmetfestival „Gusti di frontiera“ im Herbst wird kommendes Jahr kurzerhand in „Gusti senza frontiera“ umbenannt. Im Zuge der Schiene „Come Home“ werden aus der Region stammende Künstlerinnen und Künstler, die inzwischen international erfolgreich sind, eingeladen, ihrer Heimat wieder die Ehre zu erweisen. Einer davon ist Alexander Gadjiev, gebürtig aus Gorizia als Sohn einer slowenischen Mutter. Der 29-jährige Pianist ist zugleich „Botschafter“ der Kulturhauptstadt. Mit Orchester und Chor wird er auf der die Soča überspannenden und damit die beiden Länder verbindenden Solkan-Brücke auftreten. „Am Tag darauf spiele ich ein Solokonzert auf Sveta Gora, einem Heiligen Berg mit Kirche und Kloster, der für beide Länder ein wichtiger Ort ist“, kündigt er an. „Wir haben keine großen Kulturstätten wie etwa Wien“, erklärt Bric. Also machte man aus der Not eine Tugend, begab man sich auf die Suche nach schönen wie unüblichen Locations und kann nun zahlreiche „Hidden Treasures“ vor den Vorhang holen. „In einem Steinbruch, der immer noch in Betrieb ist und wo es ausschaut wie auf dem Mond, wird zum Beispiel die Tanzperformance ‚Borderless Body‘ über Robotik und den menschlichen Körper stattfinden.“
Das Team von Nova Gorica-Gorizia steht freilich auch in Kontakt mit den Verantwortlichen der diesjährigen österreichischen Kulturhauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut. Wie beurteilt man die Performance dort? „Sie machen einen guten Job“, versichert Bric. „Aber sie sind auch in einer schwierigen Situation, weil nicht zuletzt die Schauplätze sehr verstreut sind. Es erfordert viel Anstrengung, den Leuten die verschiedenen Orte schmackhaft zu machen.“ Geplant ist jedenfalls, einige SKG-Projekte als „Erbe“ weiterzuführen – etwa die im Innenhof des alten Postgebäudes von Bad Ischl untergebrachte Installation „Luv Birds in toten Winkeln“ der slowenisch-österreichischen Künstlerin Maruša Sagadin, die auch in der slowenisch-italienischen Kulturhauptstadt 2025 ihren Platz finden soll.
Was man hüben wie drüben kennt, ist die Skepsis von Teilen der Bevölkerung. „Jede Kulturhauptstadt erlebt das, man muss Überzeugungsarbeit leisten“, betont Bric. „Wenn man die Bewerbung gewinnt, sind einen Monat lang alle happy. Dann geht es los“, lacht die künstlerische Beraterin. „Die Leute glauben, man kriegt einen Zauberstab in die Hand und löst alle Probleme – von Schlaglöchern bis zu schmutzigen Plätzen – oder baut auf der Stelle ein neues Kulturzentrum.“ Natürlich müsse man sich bei dieser großen europäischen Initiative auch den eigenen Negativseiten stellen und dann aber einen Plan machen, wie man sie mithilfe von Kunst und Kultur verbessern kann. Wobei es nicht darum gehe, nur Hochkultur zu produzieren, sondern die Menschen mitzunehmen – was in der Region Bad Ischl etwa durch die Einbeziehung von Tradition und Handwerk gut gelungen sei.
Neben der Abschlusszeremonie von 3. bis 5. Dezember mit dem Einschalten einer erstmals künstlerisch einheitlich gestalteten Weihnachtsbeleuchtung für Nova Gorica und Gorizia ist jedenfalls das Eröffnungsspektakel ein unbestrittenes Highlight der Kulturhauptstadt 2025. Sie wird mit einem groß angelegten öffentlichen Fest von 7. bis 9. Februar stattfinden – und somit um den 8. Februar, an dem in Slowenien immer der Nationale Kulturfeiertag begangen wird. Das ist der Sterbetag des bedeutendsten Dichters des Landes, France Prešeren (1800-1849), der auch die Nationalhymne Sloweniens getextet hat. „Dass das Sterbe- und nicht das Geburtsdatum für diesen Feiertag gewählt wurde, sagt vielleicht auch etwas über die Mentalität der Slowenen aus“, lacht Gadjiev. Dass es im Text selbst nicht – wie sonst eher üblich – um Blut und Boden, sondern ums gesellige Trinken geht, kann man auf jeden Fall auf der Habenseite verbuchen.
(Das Gespräch führte Thomas Rieder/APA)