Oberösterreich auf der Biennale: Die Kunst des Widerstands

Linzer Kunstuni-Professorin zeigt Persönliches und sehr Politisches zur Flucht

Gabriele Spindler, Anna Jermolaewa und Landeshauptmann Thomas Stelzer in Venedig
Gabriele Spindler, Anna Jermolaewa und Landeshauptmann Thomas Stelzer in Venedig © Drehwerk OG

Die sechs Telefonzellen aus dem Flüchtlingslager Traiskirchen zählen zu den ersten Orten, die Anna Jermolaewa (Jg. 1970) nach ihrer Flucht aus Russland hier gesehen hat und die damals die einzige Verbindung nach Hause darstellten.

Die Künstlerin aus Leningrad, die an der Linzer Kunstuniversität unterrichtet, kam 1989 hierher, in ihrer Heimat, wo sie sich für die Opposition engagierte, war sie in Gefahr.

Lesen Sie auch

Auf der 60. Biennale in Venedig, die unter dem Generalthema „Foreigners Everywhere“ steht, gestaltete sie den Österreich-Pavillon, ihr zur Seite steht Kuratorin Gabriele Spindler von der OÖ Landeskultur GmbH.

Social Media Inhalt
Ich möchte eingebundene Social Media Inhalte sehen. Hierbei werden personenbezogene Daten (IP-Adresse o.ä.) übertragen. Diese Einstellung kann jederzeit mit Wirkung für die Zukunft in der Datenschutzerklärung oder unter dem Menüpunkt Cookies geändert werden.

Berührendes Ganzes zum Thema Flucht

In den fünf Räumen des einst von Josef Hoffmann gestalteten Pavillons fügen sich ihre fünf Werke zu einem beeindruckenden wie berührenden Ganzen zum Thema Flucht und Widerstand zusammen. Landeshauptmann Thomas Stelzer besuchte die Biennale zur Eröffnung mit einer Delegation aus Oberösterreich.

Als „logischen Parcours von persönlichen Erinnerungen der Flucht mit Arbeiten, mit denen sie den Protest gegen repressive Systeme auf der ganzen Welt zum Thema macht“, beschreibt Spindler die Ausstellung. In jedem Raum taucht man ein in Jermolaewas berührende Arbeiten, die viel Anklang finden, und gespeist sind mit traumatischen Erinnerungen, wie sie viele Flüchtende erleben.

Gespeicherte Migrationsgeschichte

Kunst, die eine ganz besondere Sprache spricht, „stellvertretend für Menschen, die auf der Flucht sind“, ergänzt Jermolaewa. 1988 aufgebaut, speichern die Telefonzellen aus Traiskirchen jahrzehntelange Migrationsgeschichte in Österreich. Nicht nur über die Leitungen hinaus in die Welt, an die Wände wurden arabische und andere Schriftzeichen gekritzelt, voll von Hoffnung, Angst, Emigration, Resignation. Für die Biennale wurden die Telefonzellen teilweise sogar wieder funktionstüchtig gemacht.

Ohne jeden sozialen Kontakt im neuen Land

Jermolaewas allererste Station in Österreich war der Westbahnhof in Wien. Hier kam sie an, ohne jeden sozialen Kontakt im neuen Land, nächtigte tagelang auf einer Parkbank davor. Eine Situation, die sie in ihrer Video-Arbeit „Research for a sleeping position“ 2006 nachgestellt hat.

Wie kreativ Menschen in schwierigen Situationen und Zeiten sein können, zeigt „Ribs“ aus 2022/24. „Nach dem Zweiten Weltkrieg war westliche Musik in der Sowjetunion verboten,“ erzählt die Künstlerin.

Schallplatten mit der verpönten Musik wurden zu kostbarem Schmuggelgut. Um diese zu vervielfältigen, entwendete man Röntgenfolien aus Krankenhäusern, auf die Titel wie „Back in the U.S.S.R“ von den Beatles gepresst wurden. Die LPs mit den Bildern menschlicher Skelette –„Music on bones“ – ergeben eine spannende Serie an den Wänden, einmal am Tag wird einer der empfindlichen Tonträger auf einem Plattenspieler abgespielt.

Vasen mit Sträußen aus verschiedenen Blumensorten auf Tischen und Stühlen füllen frühlingshaft einen weiteren Raum. Rosen, Tulpen, Nelken und Co. stehen in der Arbeit „Penulitamete“ (2017) für nach ihnen benannte Revolutionen und damit für das, was Machthaber wie Putin wohl am meisten fürchten, nämlich einen vom Volk ausgehenden Umsturz.

„Schwanensee“ in Dauerschleife

Den Höhepunkt bildet die für die Biennale gemeinsam mit der Ukrainerin Oksana Serheieva geschaffene Arbeit „Rehearsal for Swan Lake“. Die Balletttänzerin ist nach Kriegsbeginn mit ihren Kindern nach Österreich geflüchtet. „Wenn in Russland Größen wie Breschnjew verstarben, lief einen ganzen Tag lang ,Schwanenseee´ im Fernsehen“; erzählt Jermolaewa. „Beim Putschversuch gegen Jelzin sogar drei Tage lang. Für uns war das wie ein Code.“ Auf der Biennale läuft „Schwanensee“ als Film in Dauerschleife. Serheieva tanzt zwischendurch immer wieder live und wird dafür auch im Laufe der Biennale immer wieder vor Ort sein. Tanzen in der Hoffnung auf einen Machtwechsel.

Von Melanie Wagenhofer

Das könnte Sie auch interessieren