„Ohne Erinnerungskultur gibt es keine Zukunft“

Kulturhauptstadt-Intendantin Elisabeth Schweeger plant eine große Ausstellung zum Thema Raubkunst

Richtet den Blick zurück, aber auch nach vorne, um neue Perspektiven zu finden: Elisabeth Schweeger.
Richtet den Blick zurück, aber auch nach vorne, um neue Perspektiven zu finden: Elisabeth Schweeger. © APA/Franz Neumayr

„Ohne Erinnerungskultur gibt es keine Zukunft“ — die künstlerische Leiterin der Kulturhauptstadt Salzkammergut 2024, Elisabeth Schweeger, sieht den Blick zurück als wichtige Basis für die Zukunft und um nicht zum „Wiederholungstäter“ zu werden. Mit der APA sprach sie u.a. über das Projekt „Reise der Bilder“ zum Thema Raubkunst, über kulturelle Aneignung, die kreative Herausforderung knapper Budgets und den Versuch, nachhaltiges raumplanerisches Umdenken am Land zu erreichen.

Mit 27 Millionen Euro hat die Kulturhauptstadt Salzkammergut 2024 nicht einmal die Hälfte des Budgets von Linz09. Schweeger sieht das pragmatisch: „Das war die Vorgabe, und damit geht man um.“ Sie kann der Situation auch etwas Positives abgewinnen: „Das regt den kreativen Geist an.“ Zusätzliches Geld holt man sich v. a. durch Kooperationen. Auch mit dem ebenfalls 2024 stattfindenden Brucknerjahr arbeite man viel zusammen, „deshalb gibt es da keine Konkurrenz. Ich denke, wir werden jetzt gut begleitet von Bund und Ländern. Das geht schon.“

„Reise der Bilder“

Besonderen Wert legt Schweeger auf das Thema des jüdischen Lebens im Salzkammergut, „Erinnerungskultur ist ein ganz wichtiger Aspekt. Das ist auch eine Aufgabe, die von der EU gestellt wird. Ohne Erinnerungskultur gibt es keine Zukunft“, sagt sie. „Mir geht es nicht darum, den Moralapostel zu spielen“, sondern um Klarstellungen. „Der Vorteil einer Kulturhauptstadt ist, dass sie in der Lage ist, über künstlerische Projekte und Interventionen drauf hinzuweisen, was wir uns in der Vergangenheit vielleicht auch angetan haben. Welche Kunst haben wir zum Teil verhindert. Da haben wir uns selbst geschadet.“ Nachsatz: „Wir wollen ja keine Wiederholungstäter sein.“

Ein herausstechendes Projekt in diesem Zusammenhang ist die „Reise der Bilder“ mit dem Linzer Lentos: Das Salzkammergut war im Zweiten Weltkrieg Umschlagplatz für hochkarätige Kunst. Hitler ließ im Springerstollen in Altaussee Exponate für sein in Linz geplantes Führermuseum bunkern, Kunsthändler lagerten in Stollen und Villen Kunstwerke ein. Manches wurde dort zum Schutz verwahrt, sehr vieles aber war geraubt oder zu Spottpreisen von meist jüdischen Besitzern angekauft. Auf einen dieser Kunsthändler, Wolfgang Gurlitt, geht bekanntlich die Sammlung des Lentos zurück, das sich bereits mit einigen Restitutionen konfrontiert sah und sich laufend mit diesem Thema auseinandersetzt.

Das Lentos beherbergt auch die Hauptausstellung der mehrteiligen „Reise der Bilder“. Die Vorbereitung war durchaus herausfordernd: „Viele Bilder sind im Ausland und können nicht so einfach wieder zurückgeholt werden. Da hat es Support der EU gebraucht“, schildert Schweeger. Im Kammerhofmuseum Bad Aussee gehe es dann „quasi um den kaufmännischen Hintergrund. Dass die Bilder für fast nichts angekauft wurden und für fast nichts weitergegeben wurden.“ In Lauffen thematisieren zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler systematischen Kunstraub im Lauf der Geschichte. „Wichtig war mir, dass wir von dem Raub ausgehen, aber zeigen, dass das kein Einzelphänomen ist. Dass wir uns damit beschäftigen müssen: Wie gehen Sieger mit Besiegten um? Wie gehen sie mit deren Kultur um? Ich finde, das fängt viel früher an. Jeder, der versucht hat, ein Terrain einzunehmen, hat versucht, die Kultur dort entweder zu verändern oder zu vereinnahmen oder mit seinen eigenen Ansprüchen zu überbauen.“

Kulturelle Aneignung

Das führt in die Gegenwart: Welche Rolle spielt der Ukrainekrieg im Programm? „Er ist automatisch da. Die Künsterlerinnen und Künstler bringen das mit hinein“, verweist Schweeger auch auf die von ihr kokuratierte Lesereihe zu Stefan Zweig: „In den 1920ern war es ja eine ähnliche Situation“, als Demokratisierungsversuche durch aufstrebende Nationalismen in Autokratismus gemündet seien. Man versuche, Künstler aus der Ukraine einzuladen, aber ebenso vom Balkan — „weil die Habsburgisierung des Balkans heute auch kulturelle Aneignung genannt werden könnte“. „Wir werden einen größeren Thinktank gründen, der sich mit diesem Thema befasst“, kündigt sie an, denn: „Das wird uns noch lange beschäftigen.“

Die Kunst des Reisens

Das Problem des Übertourismus, das bei der — vor Corona erfolgten — Konzeption des Kulturhauptstadtjahres stark im Zentrum gestanden war, sei „nach wie vor ein wichtiges Thema, weil sich die Region über den Tourismus definiert.“ Man müsse den Tourismus „umdenken“ und sehen, „dass es beim Reisen immer darum geht, dass ich etwas in ein Land bringe, aber dass mir das Land auch etwas zurückgibt. Das ist immer ein Austausch. Deswegen haben wir eine Programmlinie ,Sharing Salzkammergut — die Kunst des Reisens´ genannt.“ Man wolle verhindern, dass die Leute nur einen Tag bleiben, „weil diese Eintagsausflügler bringen wenig. Es geht um Entschleunigung.“ Es sei wichtig, „dass der Tourismus nicht nur im Sommer oder im Winter stattfindet, sondern sich ressourcenschonend über das Jahr ausdehnt“. Entsprechend konzentriert sich die Programmierung der Kulturhauptstadt auch auf die Zeit abseits des Hochsommers.

Zuletzt hatte Schweeger ein Projekt gegen Bodenversiegelung auf Initiative von Hubert von Goisern vorgestellt, das mit der TU Wien erarbeitet wird. Vom Kollektiv „Curating Spaces“ wurden Leerstände erhoben, die man für kulturelle, in der Folge aber auch für andere Zwecke nutzen kann. Und Goisern habe gleichzeitig das Thema Bodenversiegelung eingebracht. „Da haben Bereiche einfach zueinander gefunden. Eine Programmlinie heißt ,Building the new´.“ Es gehe darum, welche Baukultur im ländlichen Raum möglich ist. Man wolle „Kenntnis vermitteln“ über ökologische Materialien und Strategien gegen Versiegelung, Bewusstsein schaffen für einen „ländlichen Raum, in dem es sich adäquat leben lässt“.

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