„Rom“ als Shakespeare-Schnelldurchlauf im Volkstheater

Fragmentierte Zusammenschau von Shakespeares römischen Dramen © APA/VOLKSTHEATER/MARCEL URLAUB

Das Unterfangen klingt nach einer Mammut-Aufgabe: 25 Jahre nach seinem zwölfstündigen Shakespeare-Zyklus „Schlachten!“ wendet sich Luk Perceval erneut dem britischen Dichter zu und nimmt sich am Volkstheater dessen römische Dramen vor. Doch in „Rom“ kommt der Belgier mit schlanken zweieinhalb Stunden aus, die ob der auf die Spitze getriebenen Fragmentierung der Stücke „Julius Caesar“, „Antonius und Kleopatra“, „Coriolanus“ und „Titus Andronicus“ ratlos zurücklassen.

Dabei hatte das Projekt einen außergewöhnlich langen Vorlauf: Vor mehr als einem Jahr starteten die Proben, an denen das Publikum nicht nur via Live-Stream teilnehmen, sondern im dazugehörigen Blog auch mitlesen und sich im Forum einbringen konnte. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich bereits die Autorin Julia Jost darangemacht, die Originaltexte zu einem neuen Stück zu montieren. Sie verstehe den Prozess als „Sampling“, sagte die Kärntner Autorin damals. „Wir schneiden Passagen aus und setzen sie an eine andere Stelle“, erklärte Jost, die 2019 im Rahmen des Bachmann-Preises mit dem Kelag-Preis ausgezeichnet worden war. Zusätzlich habe sie Zeilen u.a. von Elias Canetti, Ingeborg Bachmann, Herta Müller oder Hannah Arendt mit dem Shakespeare-Text verschnitten. Dass eine derart lange Auseinandersetzung mit einem Stoff zu einer für das Publikum undurchdringbaren Blase führen kann, machte die Premiere am Samstagabend deutlich.

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Vor einer schräg auf der Drehbühne platzierten Wand in Marmorblock-Optik (Bühne: Philip Bußmann) versammelt sich in völliger Dunkelheit allerlei römisches Volk, das sich bei den jeweiligen Sprecheinsätzen gespenstisch von unten mit einer Taschenlampe selbst beleuchtet. Coriolanus’ Mutter Volumina umreißt die schlechte Versorgungslage mit Weizen, drei Kinder unterhalten sich über den römischen Heerführer Titus Andronicus, das eine sagt in breitem Kärntner Dialekt: „Jo mei, uiuiui, reichts dir nix, mich Rom hinzuwixn, mich an der Gurgel an Rom zu bindn?“ In der nächsten Szene geht das Licht an, die Wand dreht sich und gibt die tragende Stahlkonstruktion frei, in der Andreas Beck als Coriolanus seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter in einem Rollstuhl empfängt. Volumina (Friederike Tiefenbacher) freut sich: „Der Krieg ist aus und wir haben gesiegt.“ Doch das Volk will Mitsprache und weil Macht fragil ist, braucht es Gewalt. Nun sind es wieder die Kinder, die von Abscheulichkeiten berichten, die allerdings nicht aus „Coriolanus“, sondern aus „Titus“ stammen: „Si zign Lavinia eine und hinunta de Mulde und schänden“, heißt es über eine Gruppenvergewaltigung an Titus’ Tochter.

Zu diesem Zeitpunkt hat man es im Saal schon aufgegeben, die einzelnen Motive einer Handlung oder einem bestimmten Stück zuzuordnen. Da kommt die Pause ganz recht, nach der schließlich „Caesar“ auf dem Programm steht, wobei die kurze Szene zwischen Antonius (Frank Genser) und Brutus (Lavinia Nowak) vor allem dazu dient, Antonius einzuführen, der im nächsten Akt auf Kleopatra trifft. Mittlerweile läuft Wasser aus der hohen Marmormauer und sammelt sich in einem schmalen Becken, das Schauplatz eines langen, wortlosen Kampfes der beiden Liebenden ist. Mit Julia Riedler als Kleopatra gerät der verzweifelte Versuch, Ägypten zu retten, zu einer der stärksten Szenen des Abends. Ihre Liebe zu Antonius wird tödlich enden, wenn er ruft: „Wir sollten den Gasherd für etwas wirklich Vernünftiges verwenden.“

Nach dem dann doch recht plötzlichen Ende bleibt offen, was genau Luk Perceval eigentlich zeigen wollte. Hat doch kaum eine der Figuren genug Profil erhalten, um sie greifbar zu machen. Aneinandergereihte Motive von Macht, Missbrauch und Mord fügen sich in der Gesamtschau zu einem Bild, das sich der Interpretation entzieht. Zögerlicher Applaus und vereinzelte Buh-Rufe für einen Abend, der die vier Dramen im Schnelldurchlauf abspult und dennoch wie in Zeitlupe vergeht.

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(Von Sonja Harter/APA)

„Rom. Titus Coriolanus Caesar Antonius & Kleopatra“ nach William Shakespeare. Text: Julia Jost, Regie und Textbearbeitung: Luk Perceval. Mit u.a. Andreas Beck, Friederike Tiefenbacher, Runa Schymanski, Lavinia Novak, Evi Kehrstephan, Claudia Sabitzer, Frank Genser und Julia Riedler. Bühne: Philip Bußmann, Kostüme: Ilse Vandenbussche. Weitere Termine: 28. April, 5. und 14. Mai. volkstheater.at

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