Salieris „Kublai Khan“ nach 236 Jahren in Wien uraufgeführt

Die Kublai-Khan-Kugel ersetzt die Mozart-Süßigkeit in Wien © APA/Musiktheater an der Wien/Herwig Prammer

Beim Steak gilt: Gut abgehangen steigt die Qualität. Auch Antonio Salieris Komische Oper „Cublai, gran kan de’ Tartari“ kann auf eine lange Reifezeit bis zur Uraufführung zurückblicken – auf 236 Jahre, um genau zu sein. Am gestrigen Freitagabend war es im MusikTheater an der Wien soweit. Ein echtes Filetstück ist die Inszenierung von Regisseur Martin G. Berger dabei nicht geworden, passiert hier doch eher das, was auch beim Fleisch bisweilen geschieht: Das Ganze zerfasert.

Aber eigentlich ist der fleischige Metaphernreigen gar nicht angebracht, steht im Mittelpunkt des Geschehens doch die Schokolade, konkret die Kublai-Kugel. Das ist das Hauptprodukt der Kublai Khan Süßwaren AG im Jahr 2022, die vom Patriarchen Schorsch Kublai geführt wird. Zum Firmenjubiläum will man die alte Salieri-Oper „Kublai Khan“ aufführen. Mit dieser reist allerdings auch deren Komponist Antonio Salieri durch die Zeit und betrachtet und kommentiert nun interessiert das Geschehen auf der Bühne wie in der Jetztzeit.

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Dass just am Tag darauf der russische Angriffskrieg über die (Bühnen-)Welt hereinbricht, lässt erneut das Damoklesschwert eines Abbruchs über den Darstellern schweben – womit dasselbe wie im Jahr der Fertigstellung der Oper geschehen könnte: Die Weltpolitik stört die Kunst. So untersagte Kaiser Joseph II. einst die Uraufführung, passte die politische Satire auf den Zarenhof doch nicht zum soeben geschlossenen Bündnis mit Russland gegen das Osmanische Reich. Kritik an Russland fiele im Jahr 2024 nun ja bedeutend leichter. Aber darf man noch lachen in Zeiten des Krieges?

Der gebürtige Berliner Berger packt vieles in seine Arbeit, in der postmodern Klischees aufgestellt werden, um sie sogleich zu brechen, und die Kunst stets in der Außenperspektive über sich selbst reflektiert. So wird aus dem Hof des Mongolenherrschers Kublai Khan zumindest streckenweise ein Schokokonzern, aus der aus Machtgründen angereisten Schwiegertochter in spe ein potenzielles Tochterunternehmen und aus dem infantilen Sohnemann Lipi sowie seinem Lehrmeister, dem intriganten Kleriker Posega, ein schwules Pärchen.

Mit einem wahren Rezitativrausch, von Christophe Rousset mit seinen Les Talens Lyriques respektive selbst am Hammerklavier begleitet, gelingt es jedoch über weite Strecken, das Geschehen mit neuen Texten sinnhaft zusammenzuhalten. Vielleicht ist nicht jede Zeit- und Bedeutungsebene immer friktionsfrei mit den Arien zusammenzubringen, die Salieri für das Werk komponiert hat. Allerdings sind auch diese bereits durch eine überraschende Bandbreite aus Seria-Stücken und klarem Buffocharakter gekennzeichnet. Während etwa die Schweizerin Marie Lys als coole Businessfrau und Braut Alzima Koloraturfeuerwerke zünden kann und ihr heimlicher Verehrer Timur mit dem sehr engen Tenor von Alasdair Kent einige dramatische Arien intonieren darf, sind es beim Khan von Altmeister Carlo Lepore eher die Sprünge und der Witz, welche die Passagen dieses Charakters auszeichnen.

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Nicht zuletzt der Hohepriester der Ironie, Christoph Wagner-Trenkwitz, bündelt die immer wieder auseinanderstrebenden Einfälle in der Sprechrolle des Salieri. Er wird zum Beobachter seines Werkes, spricht mit den Figuren, die ein Eigenleben führen und zugleich Charaktere im Stück sind, kommentiert die Welt und die Kunst. Dass der Abend dennoch Längen aufweist, ist letztlich weniger der Regie von Martin G. Berger geschuldet, die einen schlüssigen Versuch darstellt, mit sich heute zwingend ergebenden Fragen von kultureller Aneignung und Abwertung umzugehen, als intrinsisch im Werk selbst.

Wenn Salieri nach rund zwei Stunden Nettospielzeit beim Abgehen dem Publikum zuruft, er habe noch für jede Figur eine schöne Arie komponiert, ist dies kein Scherz wie zunächst angenommen. Obgleich die Intrigenhandlung am chaotischen Hofe eigentlich geklärt und an ihr Ende gekommen ist, findet das Libretto von Battista Casti nicht zu einem solchen. Da schneidet sich die Oper ins eigene Fleisch, muss man da doch eingefleischter Salieri-Fan sein, um hier noch gebannt auf der Kante des Stuhls zu sitzen. Womit sich metapherntechnisch der Kreis schließt.

(Von Martin Fichter-Wöß/APA)

„Kublai Khan“ von Antonio Salieri im MusikTheater an der Wien, Museumsplatz 1, 1070 Wien. Musikalische Leitung der Talens Lyriques: Christophe Rousset, Inszenierung: Martin G. Berger, Bühne: Sarah-Katharina Karl, Kostüm: Alexander Djurkov Hotter, Licht: Karl Wiedemann. Mit Kublai – Carlo Lepore, Lipi – Lauranne Oliva, Timur – Alasdair Kent, Alzima – Marie Lys, Posega – Leon Košavić, Orcano – Fabio Capitanucci, Bozzone – Giorgio Caoduro, Memma – Ana Quintans, Salieri – Christoph Wagner-Trenkwitz. Weitere Aufführungen am 7., 9., 11., 13. und 15. April. theater-wien.at

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