Eines vorweg: Das Beben, das es am Freitagabend im Toscana Park in Gmunden gab, war kein seismografisches Phänomen, sondern ein schauspielerisches Naturereignis: Philipp Hochmair und die Elektrohand Gottes mit der Performance „Schiller Balladen Rave“. Nicht jedermanns Sache, aber das Publikum war begeistert von einem „anderen“ Jedermann in Hochform.
Es beginnt aus nicht geklärten Gründen mit einer halbstündigen Verspätung. Zeit, um das Equipment auf der Bühne zu studieren. Verkehrszeichen wie auf einer Baustelle, weiters ein Kreuz, Grablichter, Totenköpfe mit Arbeiterhelm und im Hintergrund die Band, die später für den eindringlichen Elektro-Sound sorgen wird.
Lesen Sie auch
Immer nahe an der schauspielerischen Eruptionsgrenze
Dann erscheint er, Philipp Hochmair in einer Art Soldatenoutfit, aber auch mit den Utensilien eines Bauarbeiters wie Schraubenschlüssel und Hammer. Vom ersten Augenblick an impulsiv, dynamisch und immer nahe an der schauspielerischen Eruptionsgrenze.
Mit Mikrofon und Megafon, nicht selten beides zugleich. Lautstark, beschwörend ruft Hochmair nach Friedrich Schiller. Ob dieser von oben das weitere Geschehen in der Open-Air-Arena des Toscana Parks mitverfolgt, ist nicht überliefert.
Wenn ja, dann bekommt der Dichter jedenfalls eine von exzessivem Körpereinsatz geprägte, sprachlich brillante Version seiner bekanntesten Balladen serviert. Vom „Ring des Polykrates“ über „Der Handschuh“ und „Der Taucher“ bis zur „Bürgschaft“ und dem nicht enden wollenden „Lied von der Glocke“.
Schwierige Texte
Was jeder aus seiner Schulzeit weiß: Schwierige Texte, die Hochmair souverän meistert. Noch dazu in Verbindung mit jeder Menge Action bis hin zur Bierdusche, die er sich selbst verpasst. Alles dramatisch untermalt von Synthesizer, Electronics sowie Bühnennebel und grellen Lichteffekten, die an diesem Abend selbst die Mücken in Ekstase zu versetzen scheinen.
Und Schillers Balladen in dem Ganzen? Für sie erheben Hochmair und seine Musiker den Anspruch eines ungewöhnlichen, zeitgemäßen Zugangs. Ein Weg vielleicht, die im Deutschunterricht durch „Schiller-Qualen“ (Zitat Hochmair) aus dem Blick gekommene Dramatik und Zeitlosigkeit der alten Klassiker auferstehen zu lassen.
Wenn die klassischen Zitate wie die erwähnten Mücken übers Publikum schwirren, dann wird so manches Aha-Erlebnis ausgelöst. Und wenn Hochmair gerade die Friedenssehnsüchte gegen Ende der Glocken-Ballade nachhaltig und verstärkt durch Video zelebriert, dann ist man endgültig im Heute angelangt. Der Bauarbeiter hat als Schauspielarbeiter seine Schuldigkeit getan, der Bauarbeiter kann – unter heftigem Applaus – von der Bühne gehen.
Etwas zu viel Hochmair und zu wenig Schiller
Ein Kritikpunkt ist freilich auch anzubringen: Im Gesamten ist das Projekt, bedingt durch die starke Performance, etwas zu viel Hochmair und zu wenig Schiller. Die Balladen des Dichterfürsten werden mitunter Mittel zum Zweck für den Schauspielstar. Hat es Schiller Hochmair verziehen? Als ein Hinweis darauf mag gelten, dass an diesem Abend aus den drohenden schwarzen Wolken kein Tropfen Regen fiel.
Von Werner Rohrhofer