Schlichtheit in Perfektion: Brecht, Weill und ein grandioser Lars Eidinger

Ex-Jedermann gibt im Landestheater Linz „Hauspostille von Bertolt Brecht“ ohne Firlefanz

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Lars_Eidinger © Petra Moser

Er muss noch gar nichts sagen. Mit weißem T-Shirt, Jogginghose und Brille kommt Lars Eidinger auf die Bühne des Schauspielhauses in Linz und wohlwollender Applaus empfängt ihn vor schlichter grüner Wand. Und die Schlichtheit soll der rote Faden für diesen Abend sein. „Hauspostille von Bert Brecht“ präsentiert Eidinger gemeinsam mit Hans-Jörn Brandenburg, der den Ex-Jedermann an gleich vier Tasteninstrumenten und mit Stimme begleitet. Der Abend trägt nämlich den Untertitel „Lesung mit Musik von Kurt Weill und anderen“. Und so singt und rezitiert sich Eidinger durch Brechts Verse, die sich an den Rändern der Gesellschaft abarbeiten — und damit erschreckend gegenwärtig sind.

Und Brecht seziert: Denn dieses System kommt nicht aus der Mode: Wenige oben, viele unten, dazwischen ein Weg, mehr ein Schaukelbrett „Die oben sind oben nur, weil jene unten sind“ und unten müssen es eben mehr sein, würde die Schaukel sonst ja nicht halten.

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Brechts Worten ist selten etwas hinzuzufügen. Ihrer Kraft kommt kaum einer aus. Und wenn sie von einer Schauspielgröße wie Lars Eidinger präsentiert werden, dann braucht es keinen Firlefanz und kein Trara — dann hat sich eine perfekte Kombination gefunden.

Eidinger der Brechtkenner

Eidinger, 1976 in West-Berlin geboren, ist ein Brecht-Kenner, hat er den Dramatiker doch in Joachim A. Langs „Mackie Messer — Brechts Dreigroschenfilm“ aus dem Jahr 2018 dargestellt. In einem Interview sagte der Mime damals zu seiner Rolle: „Tatsächlich sehe ich mich eher in der Funktion, den Geist Brechts aufleben zu lassen. “

Und das hat er auch an diesem Abend im Landestheater Linz geschafft: All die Schärfe in Brechts Worten, die Untiefen, die er auslotet, die Grauslichkeiten, mit denen er uns konfrontiert — gepaart mit einem so ausgeprägten Verständnis für das pure Menschliche — all das vermag Eidinger in unprätentiöser und fesselnder Form zu präsentieren. Das Bühnentier (im besten Sinne aller Worte) zeigt sich in sanften Wechseln, kleinen Modulationen der Stimme, ein Hauch eines anderen Tons, ohne die großen Geschütze aufzufahren, die Eidinger ohne Zweifel auch draufhätte. Aber es braucht sie schlicht nicht, wenn der Inhalt Brecht ist.

Zuerst kommt das Fressen …

„Ein Lied … ne falsch, eine Ballade“ Ein kleiner Versprecher, die Sympathie, die das Publikum dem Berliner entgegenbringt, ist schnell spürbar, auch wenn das Vorgetragene tief trifft. „Zuerst müsst ihr uns ´was zu fressen geben“, fordern sie bei Brecht, denn — und längst ist es zum geflügelten Wort geworden: „Zuerst kommt das Fressen, dann die Moral“. Das Düstere und Morbide kommt in Wellen – „die Leichen rochen durch das Haus“ — dann wunderschön-trauernd „Das Schiff“: „Jetzt, im achten Monde, rinnen Wasser häufiger in mich. Mein Gesicht wird blasser. Und ich bitte, dass es enden soll.“

Es fehlt nichts in dieser Nacht, weder die Seeräuber-Jenny, noch die „Whisky Bar“, später von The Doors, am Freitagabend von Lars Eidinger mit Weills unverkennbarer Melodie gesungen. Ein kleiner Höhepunkt bereits mit Brechts großem „Denkchoral“ auf die Melodie von „Lobe den Herren“: „Lobet die Nacht und die Finsternis, die euch umfangen! Kommet zuhauf Schaut in den Himmel hinauf: Schon ist der Tag euch vergangen.“

Nach einer Michael-Jackson-Gesangseinlage steuert man auf das Ende zu und plötzlich scheint jede und jeder angesprochen im ausverkauften Saal: „Lasst euch nicht verführen! (…) Es kommt kein Morgen mehr.“ Und so kommt es, wie es bei einem Brecht-Abend kommen muss: Eidinger schlüpft kurz in die Rolle des Mackie Messer und erinnert uns: „Denn die einen sind im Dunkeln. Und die anderen sind im Licht. Und man sieht nur die im Lichte. Die im Dunkeln sieht man nicht.“ Das Licht geht aus, Lars Eidinger beleuchtet sein Gesicht selbst mit dem Handy und schließt den erfüllenden Abend: „Ich lebe in finsteren Zeiten.“

Nachsatz: Das Publikum erklatscht sich begeistert eine Zugabe, Brechts „Kinderhymne“ und ein bisschen John Lennon — und die Erklärung fürs schlichte Outfit: kein Berliner Understatement, kein gewolltes Herunterspielen, sondern schlicht ein verloren gegangener Koffer.

Von Mariella Moshammer

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