Sechs Nächte im Pflegeheim: David Fuchs´ „Zwischen Mauern“

Dritter Roman des Autors und Palliativmediziners – Müdigkeit kämpft gegen Mitgefühl, Ekel gegen Empathie

Ein Palliativmediziner, der weiß, wovon er schreibt: David Fuchs, 1981 in Linz geboren
Ein Palliativmediziner, der weiß, wovon er schreibt: David Fuchs, 1981 in Linz geboren © Haymon/Fotowerk Aichner

„Pflegenotstand“ ist ein Begriff, den es eigentlich nicht geben sollte, der sich aber doch bei uns eingebürgert hat. Wenn der 1981 in Linz geborene Autor David Fuchs über Nächte in einem kurz vor der Schließung stehenden Pflegeheim schreibt, kennt er seinen Gegenstand wohl genau. Fuchs ist Palliativmediziner, und man ist geneigt zu glauben, dass in seinem Roman „Zwischen Mauern“ nicht viel erfunden ist.

2018 handelte sein mehrfach ausgezeichneter Debütroman „Bevor wir verschwinden“ von einer Liebesgeschichte zwischen zwei jungen Männern – der eine angehender Arzt, der andere sein Patient – auf einer Krebsstation, 2020 spielte sein zweiter Roman „Leichte Böden“ in einer eigenwilligen Senioren-WG.

Lesen Sie auch

Echte menschliche Probleme

Auch diesmal hat Fuchs einen ungewöhnlichen Schauplatz gewählt: ein Pflegeheim, das in Kürze zugesperrt wird. Nur noch 52 Bewohner werden hier auf zwei Stationen betreut. In den Nächten sind außer ihnen nur noch zwei Menschen hier zu finden: der auf Schmerztherapie spezialisierte Doktor Pomp, der im Leben keinen rechten Platz mehr hat und dem es daher egal ist, ob er seine Stunden in seiner hier befindlichen Ordination oder in seiner Wohnung totschlägt, sowie der Pfleger Moses, der Einzige, der hier überhaupt noch Nachtdienste zu leisten bereit ist.

Die deprimierende Konstellation wird neu gemischt, als die junge Bankangestellte Meta sich zu einer ehrenamtlichen Arbeit meldet. Sie soll als „Sitzwache“ die Nächte neben einem stets nur „Herr T.“ genannten Patienten verbringen, um ihm Gesellschaft zu leisten und die Angst vor der Einsamkeit zu nehmen. Denn Herr T. schreit in der Nacht, wenn er allein ist. Warum, weiß keiner. Für Meta ist das alles sehr ungewohnt, rasch fühlt sie sich überfordert.

Auf der Station ist es nächtens nicht nur anstrengend, sondern manchmal durchaus gespenstisch, vor allem, wenn man mitunter nicht weiß, ob die hier auf den Gängen Irrlichternden tot oder lebendig, real oder eingebildet sind. Doch David Fuchs widersteht der Versuchung, mit dem Grusel zu spielen, sondern wendet sich ganz den echten menschlichen Problemen zu: Müdigkeit und Erschöpfung, Ekel und das Gefühl der Sinnlosigkeit stehen gegen Empathie, Aufopferungsbereitschaft und Mitgefühl. Dieses wird in den sechs Nächten, von denen „Zwischen Mauern“ erzählt, jedoch auf eine harte Probe gestellt, als Meta erfährt, dass ihr Patient keineswegs ein harmloser, netter Mann gewesen sein dürfte, wie es den Anschein hat. Doch verdienen es nur gute Menschen, dass man ihnen zur Seite steht, wenn es ihnen schlecht geht?

Wieder hat David Fuchs ein ungewöhnliches Buch geschrieben. Eines, das nicht mit sprachlichem Glanz oder abenteuerlichen Wendungen in seinem Plot besticht, sondern eines, das gekonnt Dinge zur Sprache bringt, die sonst kaum je ihren Weg in die österreichische Gegenwartsliteratur finden, sondern höchstens in die Zeitungen. Dann, wenn es zu spät ist.

David Fuchs: „Zwischen Mauern“, Haymon, 224 Seiten, 19,90 Euro

Das könnte Sie auch interessieren