Spaniens „Schlampen“-ESC-Song spaltet das Land

Jedes Mal, wenn María Bas und Mark Dasousa derzeit eine Bühne in Spanien betreten, erschallen Sprechchöre „Zorra, Zorra“. „Zorra“ bedeutet im Spanischen eigentlich „Füchsin“, wird aber meist abwertend für „Schlampe“ benutzt. Nichteingeweihte könnten meinen, Sängerin María wäre nicht besonders beliebt. Doch so ist es nicht. „Zorra“ heißt das Lied, mit dem das Künstlerduo Nebulossa am 11. Mai Spanien im Finale des Eurovision Song Contests im schwedischen Malmö vertreten wird.

María und Mark geben zu, selber überrascht gewesen zu sein, als sie im Februar auf dem Benidorm Fest der staatlichen Rundfunkanstalt RTVE die meisten Stimmen erhielten und damit zu Spaniens ESC-Repräsentanten wurden. Denn eigentlich passen die beiden so gar nicht ins jugendliche-coole Image der Eurovision.

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María ist 56 Jahre alt, Mark 50. Seit 20 Jahren sind sie ein Ehepaar, haben zwei Kinder. In ihrem beschaulichen Mittelmeerstädtchen Ondara an der Costa Blanca unterhalten sie einen Friseursalon. Nebenbei ist Mark Musikproduzent, führt in der 7.000 Einwohner Gemeinde ein kleines Tonstudio.

Aus musikalischer Sicht war das Duo bisher praktisch vollkommen unbekannt. Mark, äußerlich ein Mix aus Heino und Dieter Bohlen, spielt auf der Bühne Keyboard. María singt – aber nicht besonders gut. Fokus ihrer Bühnenshow sind eher die beiden männlichen Vollbarttänzer, die mit Overknees-Stilettos, Latex-Korsett und Glitzer-Tangas viel Po zeigen.

Doch ihr Retropop Song im 80er-Jahre-Elektrostil hat einen eingängig-repetitiven Rhythmus und Text und ist leicht mitzusingen. Vor allem aber hat er eine sehr aktuelle Botschaft: Es geht um starke, emanzipierte und unabhängige Frauen, die niemandem eine Erklärung schuldig sind. Und wenn solche Frauen als „Schlampe“ bezeichnet werden, dann sollten sie halt stolz darauf sein.

Das kam nicht nur beim Benidorm Song Festival gut an. Blitzschnell entwickelte sich „Zorra“ in Spanien zur neuen Hymne der LGBTIQ-Szene, läuft derzeit in allen Radiosendern und Clubs hoch und runter. „Wir haben es anscheinend geschafft, dem Wort Zorra eine neue Bedeutung zu geben, und diese Botschaft möchten wir nun nach Europa tragen“, sagt Sängerin María immer wieder in Interviews.

„Zorra“ als verbal-feministischer Befreiungsschlag? Spaniens feministischen Bewegungen sind mehr als gespalten. Allein bei der Vorstellung, dass in Spanien und Europa beim ESC-Finale Zigtausenden jungen Mädchen erzählt wird, sie sollten sich selber stolz als „Schlampen“ bezeichnen, um so den Begriff als Schimpfwort zu neutralisieren, bekommt Jana Bravo vom Madrider Verband für Frauenrechte (MFM) die Krise. „Die Banalisierung oder Aneignung eines machistischen Schimpfwortes kann doch nicht der Weg sein, um Frauenrechte und Selbstverwirklichung einzufordern“, sagt Jana Bravo im Gespräch mit der APA.

Innerhalb weniger Stunden sammelte die MFM mehr als 1.500 Protestunterschriften, die man der spanischen Rundfunkanstalt RTVE mit der Bitte vorlegte, den „Schlampen“-Song nicht ins ESC-Rennen zu schicken. RTVE ließ jedoch nur das Wort „Zorra“ für die Eurovision mit „Vixen“, also Füchsin, übersetzen, anstatt die eigentliche Bedeutung „Bitch“ zu nehmen. Montserrat Boix trat aus Protest bereits als Gleichstellungsbeauftragte bei RTVE zurück und entschuldigte sich bei den Opfern sexistischer Gewalt.

Der Song sei „inakzeptabel“ verlautbarten bereits auch mehrere Parlamentarierinnen. Konservative Oppositionspolitikerinnen empfinden ihn als „Schande“. Viele sozialistische Politikerin meldeten sich ebenfalls „empört“ zu Wort, auch wenn ihr Chef, Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez, den Song jüngst als Beispiel nahm, dass Feminismus auch „unterhaltsam“ sein kann.

Kaum ein ESC-Beitrag hat in den vergangenen Jahren in Spanien für so viele Debatten und Kritik ausgelöst wie „Zorra“. Sogar die Katholische Kirche meldete sich zu Wort. Alicantes Bischof José Ignacio Munilla zeigte sich überzeugt, dass es viele Menschen mit feministischer Sensibilität verärgere, wenn die Reaktion auf die Demütigung von Frauen darin bestehen soll, dass Frauen diese Demütigungen annehmen und auch noch stolz darauf sind. Mal schauen, was Europa beim 68. Eurovision Song Contest von dem Song hält.

(Von Manuel Meyer/APA)

eurovision.tv

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