„System von Regeln ohne Rechtsstaatlichkeit“

Fußball-Geschäft: Dokumentation „Katar – WM der Schande“ in der Mediathek der ARD

Sepp Blatter, 2015 noch Präsident des Weltfußballverbandes FIFA: Ein britischer Comedian ließ während einer Pressekonferenz in Zürich gefakte Geldscheine regnen.
Sepp Blatter, 2015 noch Präsident des Weltfußballverbandes FIFA: Ein britischer Comedian ließ während einer Pressekonferenz in Zürich gefakte Geldscheine regnen. © AFP/Coffrini

Man könnte darüber lachen. Fußball-„Kaiser“ Franz Beckenbauer gmiadlich-bayrisch: „Ich hab no ned einen einzigen Sklaven in Katar gsehn. Also die laufen alle frei herum.“

Oder Joseph „Sepp“ Blatter in schönem Schwyzer-Englisch: „Crisis? What is a crisis?“ (Krise? Welche Krise?) Von Blatter auch dieser Spruch, der Ex-Präsident des Fußball-Weltverbandes FIFA weiß höchste Autorität hinter sich: „Ich glaube an Gott, und manchmal spricht er zu mir.“

Bemerkenswert die Unschuldsbeteuerung von Mohammed bin Hammam, dem katarischen Verantwortlichen, der nicht eigene Handlungen, sondern „das System“ anprangerte. Die Erklärung bin Hammams immerhin plausibel: „Wir haben nach den Regeln der FIFA gespielt.“ Im Dezember 2010 vergab die FIFA die Fußball-Weltmeisterschaft nach Katar. Das war seltsam, denn Katar, ein Wüstenstaat mit 3 Millionen Einwohnern, hatte eindeutig die schlechteste Bewerbung abgegeben.

„Systemische Korruption“

Grobe Seltsamkeiten begannen schon zwei Jahre vorher, als Blatter verkündete, in einem Aufwischen gleich zwei Weltmeisterschaften vergeben zu wollen – ein Novum, nie begründet. Die WM 2018 ging an Russland, Wladimir Putin hatte nach Olympia 2014 in Sotchi seine nächste große Propaganda-Show. 24 Funktionäre der FIFA hätten abstimmen sollen, zwei wurden davor ausgeschlossen, Reinhard Tamari aus Tahiti und Amos Adamu aus Nigeria. Die beiden hatten Undercover-Reportern der englischen „The Sunday Times“ freimütig Auskunft gegeben, schlugen ein vermeintliches „Angebot“ so aus: viel zu wenig, „wir reden von 10, 12 Millionen Dollar“. Beachtlich auch der Hinweis auf einen anderen Funktionär: „Ein Clown, den bekommt man mit Frauen, nicht mit Geld.“

Am 27. Mai 2015 drohte das System FIFA zu kollabieren: Razzia in der FIFA-Zentrale in Zürich auf Antrag von US-Behörden, Funktionäre werden in Handschellen abgeführt. Der Vorwurf Betrug und Geldwäsche, die Korruption sei systemisch und „tief verwurzelt“. Miguel Maduro, vormals Vorsitzender der FIFA-Gouvernance-Kommission, einer Art Ethikrat (!), schmiss 2017 nach acht Monaten seinen Job bei der FIFA. Diese sei „ein System von Regeln ohne Rechtsstaatlichkeit“, sagt Maduro heute. Transnationale „systemische Korruption“, die „nur sehr schwer für nationale Strafbehörden zu ermitteln“ sei.

In Frankreich ermitteln Behörden bis heute, stehen dabei mehrfach schwer unter Druck. Vor der Vergabe der WM an Katar trafen sich 2010 im Élysée-Palast in Paris der damalige Staatspräsident Nicolas Sarkozy, der damalige katarische Thronfolger und heutige Emir Tamim bin Hamad al Thani sowie Michel Platini, zu dieser Zeit Präsident des europäischen Verbandes UEFA und stimmberechtigt auch für die FIFA-WM-Vergabe. Gab es Absprachen? Platini stimmte für Katar, was er auch öffentlich bekannte, umgekehrt engagierte sich Katar ökonomisch stark in Frankreich, am bildhaftesten der Kauf des Pariser Fußballvereins PSG.

Eine Frau im Herrenclub

Die spannende, hervorragend recherchierte Dokumentation „Katar – WM der Schande“ (WDR 2022) greift neben dubiosen Geldflüssen die Kritik an horrenden Arbeitsbedingungen der Gastarbeiter in Katar auf. 15.000 starben seit 2010, Gianni Infantino, seit 2016 als Nachfolger Blatters Präsident der FIFA, nennt stets diese Zahl von Opfern, die infolge von Arbeit an Stadien und Infrastruktur verstarben: drei. Kritiker sprechen von mehreren Tausend. Nur zögerlich und völlig unzureichend, so die Kritik, habe die FIFA die katarischen Veranstalter gedrängt, gegen Misstände vorzugehen: vielfache Erpressung und eingezogene Reisepässe, unmenschliche Arbeitsbedingungen sieben Tage die Woche bei größter Hitze, miserables und rassistisches Krisenmanagement bei Corona.

Die norwegische Fußball-Präsidentin Lise Klaveness hatte beim FIFA-Kongress im März dieses Jahres in Doha die Eier, die Jubelstimmung des Männervereins FIFA mit Menschenrechtsfragen zu konterkarieren. Die WM-Vergabe sei „auf inakzeptable Weise, mit inakzeptablen Folgen“ erfolgt. Die WM beginnt am Sonntag, Gianni Infantino freut sich auf „die beste WM aller Zeiten“.

Von Christian Pichler

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