Tod und Teufel: „Das dritte Königreich“ von Karl Ove Knausgård

Etwas verändert sich. Die Welt, wie wir sie kennen, ist dabei, eine andere zu werden. Das sagen die Wissenschafter, das spüren die Menschen, das beschreiben immer mehr Autorinnen und Autoren. Karl Ove Knausgård hat dafür ein schlichtes Bild gefunden: Ein hell leuchtender neuer Stern taucht am Himmel auf. „Der Morgenstern“ war 2022 der Auftakt einer Reihe, dem im Vorjahr „Die Wölfe aus dem Wald der Ewigkeit“ folgte. Nun ist auf Deutsch „Das dritte Königreich“ (Luchterhand Literaturverlag, 656 Seiten, 28,80 Euro) erschienen.

Die Karten neu mischen

Seiner Grundmetapher ist der norwegische Autor, den sein mehrtausendseitiges Selbstfindungsprojekt „Min Kamp“ („Mein Kampf“) berühmt machte, ebenso treu geblieben wie dem Bauprinzip seiner „Morgenstern“-Bücher. Vor dem Hintergrund der beunruhigenden Himmelserscheinungen gerät in den Menschen und in der Natur einiges in Bewegung, das er anhand verschiedener Figuren in ihren jeweiligen Lebenssituationen veranschaulicht. Immer werden private Beziehungen plötzlich neu bewertet. Der Stern scheint einen Anstoß dazu zu geben, die Karten neu zu mischen. Auch, weil Dinge neu ins Spiel kommen. Tod und Teufel etwa.

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Manches lässt einen zweifeln

Auf den 650 Seiten des „dritten Königreichs“ (das nach Gottvater und seinem Sohn nun ganz dem Heiligen Geist unterstehen soll) kann man manches erleben, das einen zweifeln lässt an Genre und Seriosität seiner Lektüre. Ein Ermittler sucht eine Priesterin auf, weil er auf einem Video in Zusammenhang mit einem entsetzlichen Ritualmord den Teufel persönlich zu erkennen glaubt. Eine Malerin wird von toten Seelen bedrängt und sexuell belästigt. Der Sänger einer nur bei geheimen Liveauftritten spielenden Metal-Band ritzt seine neue Freundin beim ersten Geschlechtsverkehr mit dem Messer, um mit dem Schmerz noch tiefere Empfindungen zu erzeugen. Mediziner stehen vor einem Rätsel, als sie erkennen müssen, dass Patienten entgegen aller Erfahrungen trotz schwerster Gehirnschäden weiterhin Empfindungen haben, und Totengräber werden arbeitslos, weil in ganz Norwegen tagelang niemand stirbt.

Knausgård ist ganz groß darin, seine Figuren – manche kennt man aus den vorangegangenen Bänden der Reihe – und ihre Empfindungen so detailreich zu beschreiben, dass sie einem rasch sehr vertraut vorkommen. Und er ist ganz fies darin, seine Geschichten so zu erzählen, dass die Geheimnisse nie ganz gelüftet werden. Das Ende des Roten Fadens bleibt stets liegen, um jederzeit wieder aufgenommen werden zu können. Sehr befriedigend ist das für die Leser nicht.

Die Sinnsuche hat neu begonnen

Sehr erhellend allerdings auch nicht. Knausgårds Morgenstern ist kein erleuchtendes, sondern ein verfinsterndes Stilmittel. Er konfrontiert die Menschen mit ihren dunklen Seiten und mit Fragen, die sie beunruhigen. Etwa: Was, wenn es keinen Gott gibt? Darauf hatte die Aufklärung lange eine Antwort. Dass die Sinnsuche neu begonnen hat, und dass Esoterik und Satanismus zumindest in Knausgårds Schreiben dabei eine erstaunlich große Rolle eingenommen haben, ist kein erfreuliches Zeichen. Immerhin gibt es in „Das dritte Königreich“ auch jede Menge hilfsbereite Menschen und verständnisvolle Ehepartner. Doch im Zentrum steht meist der Zweifel eines Einzelnen, der aus sich heraustritt, die Lage neu bewertet und fragt: Was wird hier gespielt? Und muss ich mitspielen?

Von Wolfgang Huber-Lang

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