Überbordender Schrei nach Freiheit

„Lieber Thomas“: Berauschendes Porträt, fabelhafter Darsteller Schuch

Albrecht Schuch als der alle Regeln brechende deutsche Autor Thomas Brasch
Albrecht Schuch als der alle Regeln brechende deutsche Autor Thomas Brasch © Zeitsprung Pictures/Wild Bunch Germany/Hartwig

„Ich hab‘ dir ‘n Stück auf´n Leib geschrieben“, sagt Thomas Brasch zu der Frau, die es lange an seiner Seite aushalten wird. Wir sind mitten im Film „Lieber Thomas“ von Andreas Kleinert. Albrecht Schuch hat den Autor und Regisseur Thomas Brasch bereits vor uns Kinobesuchern in voller Intensität ausgebreitet. Das Bild der ersten Szene kehrt zurück: Brasch bedeckt eine Nackte über und über mit seinen Worten.

Der Film ist stark und poetisch, Kleinert ist es gelungen, dem Leben des lange in der DDR lebenden Künstlers in diesem Porträt zu folgen und die Kraft seiner Worte in berauschenden Bildern in Szene zu setzen. Nicht alles wird auserzählt, Fiktion und Realität finden zueinander.

Ein Aufbegehrer und ein Aufbrecher

Bereits an der Hochschule für Film und Fernsehen begehrt der junge Brasch in den 60er-Jahren auf, ein bedingungsloser Aufbrecher, der in der DDR gegen Mauern prallt. Flugblätter und ein ebenso bedingungsloser Vater bringen ihn in ein Stasi-Untersuchungsgefängnis. Vater und Sohn, das wird Thomas Braschs Werk prägen. Er wird sich am Vater abarbeiten, am eigenen Unvermögen, dem ewigen Zweifeln.

Das Drehbuch von Thomas Wendrich lässt die Sprachgewandtheit des jungen Brasch aufblitzen. „Sie sind entsetzlich“, sagt die Schauspieldozentin, hin- und hergerissen zwischen Ablehnung und brennen für ihren exzentrischen und lebenshungrigen Studenten. Der erwidert: „Sie sind ersetzlich“.

Brasch kennt keine Grenzen, obwohl er von ihnen umgeben ist. Er akzeptiert keine Normen, sprengt jede Regel und das in einem Land, das nur so strotzt davon. Der Wunsch nach jeglicher Freiheit ist überbordend und in seinen Werken wird der Autor sie herausschreien. „Ich brauche, was ich nicht haben kann.“ Exzesse sind Inspiration und Futter für die vielen Leerstellen. Frauen gibt es en masse. Am Ende bleibt Katarina (Jella Haase) lange bei ihm, bringt Ruhe in seine schlimmsten Momente.

Wie viele sieht Thomas Brasch im Westen keine Option, bis eine der stärksten Waffen des Arbeiter- und Bauernstaates den Künstler trifft: die Unmöglichkeit, zu arbeiten. Er schreibt und schreibt sich die Seele aus dem Leib, veröffentlicht wird kaum etwas. Als er später den großen Roman über sein Leben als Sohn eines SED-Ministers, eines Dissidenten, eines Juden schreiben soll, lehnt er ab, will nicht dem genügen, was andere in ihm sehen. „Er kann nicht“, ahnt die Frau. Am Ende bleiben 16.000 Seiten unvollendet.

1976 dann doch Westberlin: „Jetze sind wir mit dem Kopf durch die Wand“, „Und stehen in der Nachbarzelle.“

Ein herausragendes Künstlerporträt mit herausragenden Darstellern, allen voran der fabelhafte Albrecht Schuch.

Von Mariella Moshammer

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