Überleben als Akt des Widerstands

„Surviving Gusen“: Johannes Pröll und Gerald Harringer über ihre Doku, die als Eröffnungsfilm bei Crossing Europe läuft

Nur wenig erinnert in der beschaulichen Mühlviertler Landschaft heute noch an die Existenz des ehemaligen KZ Gusen, das — als Nebenlager deklariert — größer als das KZ Mauthausen war.

Gerald Harringer und Johannes Pröll legen in ihrer Dokumentation „Surviving Gusen“ die verschüttete Geschichte frei.

Der Film — eine Rückblende von der heutigen Vorgartenidylle ins Grauen der Geschichte — läuft als Eröffnungsstreifen in der Local-Artists-Schiene des am 1. Juni beginnenden Filmfestivals Crossing Europe. Der reguläre Kinostart ist für Juni geplant.

VOLKSBLATT: Was war Ihre Motivation dazu, sich dem Thema KZ Gusen zu widmen?

HARRINGER: Als Filmemacher arbeite ich immer nach dem Prinzip: Grabe dort, wo du stehst. Ich bin vor zehn Jahren nach Katsdorf gezogen. Dort habe ich im Heimatmuseum Interviews mit Zeitzeugen aus den 1980ern und 1990ern zum KZ Gusen entdeckt. So ist die Filmidee entstanden, die auf einer Zugfahrt entlang der Summerauerbahn basiert.

PRÖLL: Ein Interview mit Karl Littner, einem Überlebenden von Gusen, der in die USA emigriert ist, war der Startpunkt für weitere Interviews. Der richtige Treiber war dann, dass wir erkannt haben, dass eine Generation da von uns scheidet. Littner war es, wie auch den anderen Überlebenden, wichtig, dass die junge Generation davon erfährt, damit das nicht vergessen wird.

HARRINGER: Es geht gar nicht so sehr um die Vergangenheit, sondern darum, dass man in Zukunft so etwas verhindert und darum muss man dort anfangen, wo Hass verbreitet wird.

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Woher kommt die Bezeichnung „Unsichtbares Lager“?

HARRINGER: Die russischen Besatzungsmächte haben Österreich auferlegt, aus Mauthausen eine Gedenkstätte zu machen. In Gusen gab es nach der Befreiung derart schlimme hygienische Zustände und Krankheiten wie Typhus, dass die Amerikaner gleich alles niederbrennen mussten. Da ist nicht viel übrig geblieben außer der Krematoriumsofen und Mauerreste. Die Russen, die das Gebiet bis 1955 verwaltet haben, haben aus den Resten von Bergkristall (unterirdische Stollenanlage, in der die Nazis eine geheime Rüstungsproduktion betrieben, Anm.) mit den Industrieanlagen noch Kapital geschlagen. Später ist dieses Brachland, wo das ehemalige KZ Gusen war, zu Baugrund umgewidmet und verpachtet worden. Der Krematoriumsofen stand irgendwann inmitten dieser Häuser und dann hat es eine private Initiative für eine Gedenkstätte gegeben.

PRÖLL: Zusammen mit der Vertuschungshaltung ist das diesen Weg gegangen.

HARRINGER: Das hängt auch mit der Opferrolle zusammen, die Österreich lang eingenommen hat und sich damit vor der Verantwortung gedrückt hat.

Wie sehen Sie den unlängst besiegelten Ankauf des KZ Gusen durch die Republik?

HARRINGER: Eine längst fällig Entscheidung, die sehr positiv zu bewerten ist und ein Meilenstein in der Erinnerungskultur.

PRÖLL: … der dazu beiträgt, dass Flächen entstehen, wo man das Gedenken auch leben kann.

Stanislaw Leszczynsk hat mehrere Lager überlebt und meint: Wenn Konzentrationslager die Hölle waren, dann war Gusen der letzte Abgrund der Hölle …

HARRINGER: Gusen war eigentlich ein Vernichtungslager und zwar unter dem Aspekt Vernichtung durch Arbeit. Die Häftlinge sind in Schichten zu Tausenden Tag und Nacht in den Stollen gekarrt und dort gezwungen worden, bis zum Ende zu rackern, um Düsenflugzeugrümpfe herzustellen. In Gusen II waren die hygienischen Bedingungen noch schlimmer als in anderen KZs. Die Aufsicht über die Häftlinge ist an kriminelle Häftlinge übergeben worden, die totale Narrenfreiheit hatten. Die haben einfach besoffen Leute mit einer Axt gekeult, wie Stanislaw Leszczynsk berichtete. Am Ende des Krieges haben die Nazis noch Hoffnungen in diese Düsenjets und Messerschmitts gesetzt. Dann brach Chaos aus, Essensknappheit überall, absolute ungebändigte Grausamkeit.

Wie wichtig war es Ihnen, die gesamte Geschichte dieses Lagers zu erzählen?

PRÖLL: Es heißt ja „Surviving Gusen“. Diese Brutalität überstrahlt natürlich alles ins Negative. Aber man kann den Film möglicherweise auch auf einer positiven Seite lesen: Widerstand durch Überleben. Man hat einfach nichts gehabt, nur das eigene Leben, aber das war ein ganz starkes Mittel, um Widerstand zu leisten. Und das Leben bestand nicht nur aus diesen Jahren: Diese positive Facette, dass Karl Littner dann mit seiner Frau nach Amerika geht, und da gibt es eine Stadt, wo das Licht anbleibt, war ein Hoffnungsschimmer und das wollten wir schon mit abbilden.

HARRINGER: Ein formaler Aspekt ist, dass sich der Film entlang einer Reise bewegt hin zum Lager und dann auch weg vom Lager Richtung Freiheit. Der erste Teil ist die Deportation, wo wir glauben, dass das bisher zu wenig filmisch dokumentiert worden ist. Das gehört auch zu unserer Region, diese Zugstrecke, die Summerauerbahn, wo das unter den Augen der Öffentlichkeit passiert ist. Das haben die Leute schon mitgekriegt: Gefangene sind auf der Strecke aus dem Waggon geschmissen worden, nachdem man sie erschossen hat. Manche schafften es, sich über die Bordwände fallen zu lassen. Einige sind auch gerettet worden.

Was haben Sie an Materialien verwendet?

HARRINGER: Viele Zitate stammen aus dem Buch „Hakenkreuz im Hügelland“ von Franz Steinmaßl, der dafür Gendarmerieprotokolle, Gemeindebücher und Pfarrchroniken gesammelt hat. Da geht es auch immer wieder um Themen wie Zivilcourage. Es war uns wichtig, dass das nicht zu kurz kommt, weil man sonst verzweifeln muss an der Menschheit. Das beschreiben auch Überlebende: Herr Leszczynsk etwa, wie er in letzter Sekunde vom Leichenstapel gezogen wurde.

Hatten Sie auch Kontakt zu Menschen aus St. Georgen?

HARRINGER: Es hat Gespräche gegeben, die aber nicht Eingang im Film fanden. Es gibt da die ganze Bandbreite, einen Zwiespalt: die einen, die nichts mehr davon hören wollen, bis hin zu denen, die ganz offen davon erzählen.

PRÖLL: Bei den Dreharbeiten haben wir dementsprechend große Unterstützung erfahren, aber auch sehr großen Widerstand.

Sie arbeiten mit einer filmischen Sprache, die die Grenzen zwischen einst und jetzt verschwinden lässt: Aktuelle Landschaftsbilder, Geräusche, die in die Vergangenheit versetzen.

PRÖLL: Fadi Dorninger hat sich sehr aktiv eingebracht in die Vertonung der Historie. Zeigt man ein reales Bild, dann driftet das oft in Banalität ab. Wenn man das vertont, dann kann man es zeitlich in einen Kontext setzen. Das ist ja eine Entwicklung, die wir auch abbilden wollten. Die Intention war aber schon, es reduziert zu halten, um dem Ganzen nicht einen falschen Pathos zu verleihen.

Sie schrecken auch nicht davor zurück, die Gräuel im Detail zu schildern. Ist es wichtig, die Dinge beim Namen zu nennen?

HARRINGER: Ja, vor allem, wenn es aus dem Mund eines Zeitzeugen kommt. Was wir weniger gut finden, sind Schwarz-Weiß-Archivfotos. Eine Doku, die überfrachtet ist mit solchen Bildern, wird schnell abgelegt als etwas Vergangenes, das nichts mit mir und meiner Gegenwart zu tun hat.

Welche Taktiken gab es, um Gusen zu überstehen?

HARRINGER: Dusan Stevancic sagte, seine Stärke wäre es gewesen, immer gewusst zu haben, dass sich die Nazis nicht auf Dauer durchsetzen. Karl Littner hat sich von Tag zu Tag durchgekämpft. Und er hat auch durch Glück und die Hilfe anderer überlebt. Andere hatten den Vorteil, Deutsch zu sprechen und mehr mitzubekommen, was da passiert.

Sie konnten sehr bekannte Schauspieler als Sprecher gewinnen, die das ganz wunderbar machen.

HARRINGER: Maria Hofstätter zitiert aus den regionalen Protokollen, also aus der Sicht der Oberösterreicher, Peter Simonischek aus Karl Littners Autobiografie. Für so ein Thema ist es besonders wichtig und herausfordernd, den richtigen Ton zu finden.

Am Schluss ein furchtbares Wettrennen mit der Zeit, das für viele Lagerinsassen bedeutete: Hungertod oder Befreiung …

HARRINGER: Darum darf man die Leistung des Schweizer Sanitäters Louis Häfliger nicht schmälern, der auf die Suche nach Amerikanern gegangen ist und sie früher nach Gusen geholt hat. Manche sagen, die Befreiung wäre so oder so gekommen. Die regulären Truppen waren erst zwei Tage später vor Ort und da wären einige wohl nicht mehr am Leben gewesen.

Mit JOHANNES PRÖLL und GERALD HARRINGER sprach Melanie Wagenhofer

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