VALIE EXPORT: „Provokation ist notwendig, damit es ein Gespräch gibt“

VALIE EXPORT, aus Linz stammende Pionierin der Medienkunst, feiert ihren 80. Geburtstag

VALIE EXPORT erinnert sich gern an ihre Kindheit in Linz zurück: „In der Herrenstraße hat es einen Magnolienbaum gegeben, der hat wunderschön geblüht, das war ein Anblick, der mich immer hochbegeistert hat.“ © Violetta Wakolbinger

Mit Performances wie dem „Tapp und Tastkino“ sorgte sie ab den späten 1960er-Jahren für Skandale. Heute gilt die Kämpferin für den Feminismus weltweit als Pionierin der Medienkunst. Arbeiten von ihr sind in den bedeutendsten Museen ausgestellt.

Die in Linz geborene Künstlerin VALIE EXPORT feiert am Sonntag ihren 80. Geburtstag. Im VOLKSBLATT spricht sie über Kindheitserinnerungen, Einschränkungen und den Rücktritt der Kulturstaatssekretärin.

VOLKSBLATT: Was wünschen Sie sich zu Ihrem runden Geburtstag?

VALIE EXPORT: Was ich mir wirklich wünsche, ist, dass ich meine Energie, die ich in mir spüre, mein Wissbegehren, noch sehr lange weiter spüren kann. Natürlich wünscht man sich immer, dass alles besser wird, aber ich bin ja nicht mehr 40, sondern das Doppelte. Allgemein wünsche ich mir, dass es eine Zeit gäbe auf diesem Planeten, wo Frieden herrschen würde.

Sie sind Medienkünstlerin, Performancekünstlerin, Filmemacherin, Fotografin, Lehrende, eine wichtige Theoretikerin. Wo sehen Sie sich selbst?

Ich sehe immer noch die verschiedenen Medien, die ich benützt und erkundet habe, als meine Wegbegleiter. Ich sehe mich jetzt immer noch genauso wie vor 40 Jahren.

„Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, das zu tun. Die Gesellschaft muss das ertragen“, haben Sie einmal über Ihre Kunst gesagt. Es war ein langer Weg bis zur breiten Anerkennung als Künstlerin: Genießen Sie die Bestätigung, die Sie seit den 1990ern endlich auch in Österreich als Pionierin der Medienkunst erhalten?

Es ist kein Genuss, auch keine Genugtuung, aber ich bin froh, dass die Gesellschaft jetzt bereit ist, sich auch zu ändern und andere Einsichten zu haben in ihren Regeln und in ihrem kulturellen Ausdruck.

Wie hat die Corona-Krise Ihr Leben beeinflusst und was bedeutet der Stillstand aus Ihrer Sicht für die Kunst im Allgemeinen?

Der Stillstand ist fatal. Wir haben in Österreich ein großes Kulturgut, das natürlich auch ein großes Wirtschaftsgut ist. Künstler und Künstlerinnen, jene, die den kulturellen Ausdruck in Österreich prägen, sind jetzt in ihrem Schaffen behindert.

Ich selbst bin keine Künstlerin, die von Angst betroffen ist. Ich brauche für mein Kunstschaffen Freiheit, Energie, Tatkraft, Bewegung, da ist die Isolation kein guter Rahmen.

Wie sehen Sie den Rücktritt von Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek?

Sie hat es natürlich sehr schwer gehabt, weil sie in kürzester Zeit, nachdem sie angetreten ist, in diese Krise hineingefallen ist. Und da hat ihr natürlich schon auch das Wissen gefehlt – wie jedem anderen auch. Und ich finde es auch nicht richtig, dass sie nur Staatssekretärin war, sie hätte Ministerin sein sollen. Das ist auch ein anderer politischer Zugang und eine andere Präsentation und Repräsentation des Kulturellen. Das ganze Kulturgeschehen ist ja nicht nur wegen ihr alleine im Niemandsland, der Vizekanzler ist ja auch Kunstminister, der hätte auch stärker auftreten müssen. Aber der kulturelle Zusammenhang wurde in Österreich ja schon immer vernachlässigt.

Viele Künstler gehen mit ihrem Angebot jetzt ins Internet. Muss der Diskurs um solche Präsentationsplattformen verstärkt geführt werden?

Man kann natürlich, so wie immer jetzt, wie im Fernsehen einen Schwenk über den Aufbau von Installationen bzw. Ausstellungen machen oder Interviews. Aber natürlich sind eine Installation, ein Bild oder eine Fotografie nicht durch ein digitales Bild zu ersetzen. Das muss man real sehen, da kann man den Strich erkennen, die Leinwand, das sind ja alles Dinge, die auch das Kunstwerk ausmachen. Oder dass man eine Installation umschreiten kann oder ein Kunstwerk so präsentiert wird, dass man es haptisch fassen kann. Das und auch die Atmosphäre sind digital nicht zu ersetzen.

In Ihren Performances haben Sie ab den späten 1960er-Jahren auf teils drastische Weise auf die Situation der Frau aufmerksam gemacht, wollten die Rolle der Frau als Objekt anprangern und zur Diskussion stellen. Häusliche Gewalt ist gerade auch in Zeiten der Isolation ein wichtiges Thema. Wo sehen Sie den Feminismus heute?

Der Feminismus hat sich geändert, auch der feministische Ausdruck, weil sich ja die Gesellschaft geändert hat. Unter vielen Künstlern und vor allem Künstlerinnen ist dieses feministische, selbstständige und eigenständige Denken vorhanden. Die Emanzipation, die ja ein Teil des Feminismus ist, findet schon sehr viel statt, in den Künstlerinnen und Künstlern und auch in deren Umgebung. Durch die #metoo-Bewegung wurden die Männer darauf aufmerksam gemacht — was natürlich tragisch ist, dass man sie aufmerksam machen muss —, dass sie Grenzen haben in ihrem Verhalten und die müssen sie einfach akzeptieren.

Mit Ihren Projekten waren Sie Ihrer Zeit weit voraus. Ist es immer noch notwendig, über Grenzen zu gehen, zu provozieren, um Aufmerksamkeit zu finden? Und welche Grenzen gilt es heute zu sprengen, um Neues zu entdecken?

Ich glaube, dass es natürlich sehr notwendig war, die Grenzen zu überwinden, von denen es sehr viele gegeben hat in verschiedensten Bereichen und Denkformen. Die Provokation ist notwendig, damit man ein Gespräch führen kann. Man muss etwas setzen, damit das Publikum darauf antworten kann und will. Heute sind natürlich die kulturellen Grenzen stark vorhanden. Das wichtigste dabei ist, dass die Religion kein politisches Instrument sein darf.

Wien ist schon lange Mittelpunkt Ihres Schaffens. Welche Erinnerungen verbinden Sie mit Ihrer Heimatstadt Linz?

Ich war als Kind gerne in Linz, aber als Teenager dann nicht mehr, weil nichts los war. Aber ich bin immer wieder zurückgekommen, war jahrelang im Rat der Kunstuni. Es verbinden mich sehr viele Sachen mit Linz und jetzt natürlich vor allem dieses schöne Institut, das VALIE EXPORT Center, dessen Leistungen jetzt schon vorzüglich sind, dort wird hervorragend gearbeitet. Mit dem Lentos oder dem AEC sind wirklich große Sachen für Linz entstanden, die auch einen Output haben über die Landesgrenzen hinaus.

Als Kind war ich immer gerne am Pöstlingberg, bei der St. Barbara-Kirche oder auch im Mühlviertel. In der Herrenstraße hat es einen Magnolienbaum gegeben, der hat wunderschön geblüht, das war ein Anblick, der mich immer hochbegeistert hat. Nach dem Krieg hat mich die Mozartkreuzung fasziniert, wo ein Polizist gestanden ist und den Verkehr geregelt hat. Da hat es ein Geschäft gegeben, dort haben die Linzer immer kleine Geschenke für die Polizisten hingelegt.

Sie arbeiten gerade an einer Neugestaltung der Orgel in der Pöstlingbergkirche. Haben Sie dazu schon konkrete Vorstellungen?

Konkrete Vorstellungen sind vorhanden, aber das sind Entwürfe, die noch bearbeitet werden, da wird noch nichts verraten. Aber ich bin sehr froh, dass ich diesen Auftrag, der in eineinhalb Jahren fertiggestellt sein soll, bekommen habe. Am Anfang habe ich gedacht, das ist sehr schwierig, aber es ist wunderbar, einen Orgelraum zu bauen, eine große Herausforderung. In die aktuelle Ausstellung in der Landesgalerie war ich nicht involviert, werde sie mir aber demnächst ansehen.

Mit VALIE EXPORT sprach Melanie Wagenhofer

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