Van Dinthers „Unearth“ als Glanzstück beim donaufestival

Bei Jefta van Dinthers „Unearth“ gingen die Blicke tief © APA/donaufestival/Jubal Battisti

Sich Raum und Zeit nehmen, um ganz tief zu schürfen: Das geschah bei Jefta van Dinthers Performance „Unearth“ im Rahmen des Kremser donaufestivals auf eindrucksvolle Weise. Der schwedische Choreograf ließ am Wochenende die Dominikanerkirche zu einem von Bewegung und Klang bevölkerten Ort werden, der ungemein viel Nähe zu ließ und dabei Zuneigung, Vergänglichkeit und Abschied in unterschiedlichsten Konstellationen vor Augen führte.

Zehn Performerinnen und Performer, darunter van Dinther selbst, machten sich bei dieser knapp vierstündigen Dauerperformance das Kirchenschiff zu eigen. Mal in kleinen Gruppen, dann wieder alleine, durchforsteten sie die hier gebotene Weite, um ihre „Ausgrabungen“ anzustellen. Denn dazu kam es tatsächlich: Immer wieder wurde mit den Händen und Fingern gebohrt, wurden die Linien entlang der Steinplatten behutsam nachgezogen, als ob sich gleich eine Öffnung auftun würde und man tiefer graben könnte. Aber nicht nur die Architektur, auch die Körper selbst wurden genau untersucht.

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Hypnotisch wurde es schließlich durch einen Soundtrack der besonderen Art: Quasi von Beginn an war ein Summen zu hören, das sich zusehends zu einem kanonartigen Chor steigerte. Immer wieder traten einzelne Gesangszeilen deutlicher heraus, die oft von Schmerz und Trauer handelten („Dear Lord, you took so many of my people“). Währenddessen wurde das im Raum verstreute Publikum umtanzt, umschritten, behutsam einbezogen als Forschungsobjekt. Erlösungsmomente trafen auf Erschöpfung und Niedergeschlagenheit. Und doch hatte „Unearth“, das sich nach gut zwei Stunden mit einem zweiten Zyklus erneuerte, stets etwas tröstendes, ja erhebendes.

Ganz nach innen gerichtet schien Sonntagnachmittag das Set von The Necks: Das australische Improvisationstrio, bestehend aus Chris Abrahams am Klavier, Tony Buck an den Drums und Bassist Lloyd Swanton, ließ in der Minoritenkirche einen ständig pulsierenden, aber nur selten ausbrechenden Tanz aus Klängen vernehmen, bei dem die melodischen Fragmente ein ums andere Mal unter den Musikern weitergereicht wurden. Kaum hatte sich das Ohr darauf eingestellt, gab es schon die nächste, wie beiläufig vonstatten gegangene Verschiebung zu vernehmen. Meditation mit musikalischen Akzenten quasi.

Politisch wurde es hingegen bei Mayssa Jallad: Die Sängerin und Architektin hat mit ihrem Album „Marjaa“ die Kämpfe im Zuge des libanesischen Bürgerkriegs in Beirut Mitte der 1970er vertont und rückt dabei die Rolle der Gebäude in den Fokus. „Ich habe immer gespürt, dass etwas seltsames, gewalttätiges, unaussprechliches unserer Stadt widerfahren ist“, erklärte die 1990 geborene Musikerin. Und ja, diese Dringlichkeit transportierte sich in ihren zwischen Avantgarde und Folk pendelnden Stücken, die den Schrecken in eine beizeiten fragile Form übersetzten.

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Den Abschluss des ersten Wochenendes markierte schließlich Anika gemeinsam mit dem Solistenensemble Kaleidoskop. Sie haben sich in den vergangenen Jahren mit dem Album „Desertshore“ der legendären deutschen Sängerin Nico auseinandergesetzt. Für die gebürtige Britin, die eigentlich Annika Henderson heißt, ist das bedeutend mehr als „nur“ eine musikalische Neuinterpretation. „Nico war in meiner Karriere immer wie ein Geist, der mich begleitet hat“, rekapitulierte sie im APA-Gespräch die unzähligen Vergleiche mit der 1988 verstorbenen Künstlerin, die sie auf sich gezogen hat. „Diese Begegnung musste also auf die richtige Art passieren.“

Kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie begonnen, zog sich das Vorhaben zunächst. „Ich saß beim ersten Lockdown allein in einem kleinen Dorf in Brandenburg und hatte dieses Projekt vor mir. Also dachte: Gut, dann befasse dich jetzt mit diesem Geist, befasse dich mit Nico.“ Über das Album sei sie in die Psyche der Musikerin, die durch ihre Zusammenarbeit mit Velvet Underground weltweite Bekanntheit erlangte, eingetaucht. „Wenn du die Lyrics hörst, öffnet sich ihre Welt. Und die ist sehr traumatisiert und komplex. So war es möglich, auf ihre Dunkelheit zuzugreifen.“

Stücke wie „The Falconer“ oder „Le petit chevalier“ erhielten durch das Streicherarrangement eine ganz eigene Färbung, wobei der mitunter finstere Grundtenor in Richtung zarter Melancholie gerückt wurde. Anika wiederum war offenkundig bedacht, mit ihrem Gesang nahe am Original zu bleiben, ohne zur Doppelgängerin zu werden. So entstand ein enigmatischer Vortrag, irgendwo zwischen Leidensfrau und entrückter Künstlerin, der den Zeilen über Verlust und Schmerz äußerst gut zu Gesicht stand, ohne der Verzweiflung das Feld zu überlassen. Mitunter sind es ja die leisen Töne, die uns am intensivsten treffen.

(Von Christoph Griessner/APA)

donaufestival.at

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