“Vögel”, das jüngste Bühnenstück des frankokanadisch-libanesischen Autors Wajdi Mouawad, zählt seit seiner Entstehung vor drei Jahren zu den am häufigsten aufgeführten Stücken im deutschen Sprachraum. Das vielschichtige Drama um nationale und ethnische Identitäten, das den Nahost-Konflikt als Rahmen verwendet, erlebte am Freitag in der Inszenierung von Sandy Lopicic seine Graz-Premiere.
Mouawad erzählt in einem ausgeklügelten Wechselspiel aus Rückblenden die Geschichte der Liebe zwischen dem Berliner Juden Eitan und der arabischstämmigen US-Amerikanerin Wahida. Dabei geraten die beiden in einen Strudel innerfamiliärer, regionaler und globaler Konflikte, der fast zwangsläufig kein Happy End haben kann.
Am Schluss des rund zweieinhalbstündigen Parcours der unterschiedlichsten Gefühle und Gemütsdispositionen bietet “Vögel” keinen Ausweg in Form von Hoffnung. Was bleibt ist vielmehr eine Art nüchternen Trosts, dass letztlich alle sterblichen Menschen im gleichen Boot sitzen, egal als was sie sich sehen und welchen Gruppen, Völkern oder Religionen sie sich angehörig fühlen.
Trotz einiger weniger, vermutlich Premierenfieber zu verdankenden Verhaspler war die Leistung des neunköpfigen Ensembles beachtlich. Mathias Lodd verkörpert den Vater Eitans, David. Dieser ist ein hasserfüllter Fanatiker, der alles Arabische verabscheut. Der tragische Clou des Stücks – David entpuppt sich gegen Ende als palästinensisches Findelkind und zerbricht daran – macht ihn zur eigentlichen Hauptfigur von “Vögel”. Katrija Lehmann gibt eine selbstbewusste Wahida, Frieder Langenberger den verliebten Loser Eitan. Susanne Konstanze Weber ist seine neurotische Mutter, die Psychologin Norah, die von ihrem in der DDR vertuschten Judentum erst spät erfährt, Beatrice Frey die vom Schicksal zur zynischen “alten Hexe” gequälte Großmutter und Gerhard Balluch der einfühlsame, aber hilflose Großvater Etgar.
Den vielleicht allergrößten Eindruck hinterlassen an diesem Premierenabend das den Bühnenraum des Schauspielhauses in alle Richtungen auslotende Bühnenbild von Vibeke Andersen, die Rohrschach-mäßig verrätselten Video-Installationen von Bahadir Hamdemir und das elegant-opulente Lichtdesign von Viktor Fellegi, das sich im Wesentlichen der Farbe Blau bedient.
Bei der Uraufführung von “Vögel” in Paris 2017 wurde auf der Bühne nur englisch, arabisch, hebräisch und deutsch gesprochen. Das Verständnis stiftende Französisch erschien lediglich als in das Bühnenbild integrierte “Untertitel”. Obwohl auch eine vergleichbare, viersprachige Version für den deutschen Sprachraum existiert, bediente sich die Grazer Inszenierung der einsprachigen Fassung. Es könnte sein, dass man die anspruchsvollere Variante dem hiesigen Publikum einfach nicht zutraute.
Vermutlich auch nicht ganz zu Unrecht: War doch allein der alle Vorurteile auf den Kopf stellende und ad absurdum führende Inhalt des Stücks bereits eine vernehmbar große Herausforderung für das Publikum einer Stadt, die über eine ausgeprägte antisemitische Tradition als einstiges “Bollwerk” gegen die Türken verfügt und von den Nationalsozialisten und deren deutsch-nationalen Wegbereitern als letzter Außenposten des Germanentums im slawischen Europa stilisiert wurde.
Der Intention des Autors nachzukommen, nämlich das Publikum aufzurütteln und zu berühren, dürfte mit dieser Inszenierung jedenfalls gelungen sein: Der Premierenapplaus fiel heftig und sehr lang aus.