Von Obsession und Sojasaucenfischen

Liebes-Thriller „Die Frau im Nebel“ von Filmmeister Park Chan-wook

Wenn Ermittlungen zur Obsession werden.
Wenn Ermittlungen zur Obsession werden. © Filmladen

Wer so richtig verliebt ist, weiß, was das Objekt der Begierde anhatte an diesem oder jenem Tag. Das blaue Kleid. Oder war es das grüne? Unsicher sollte man in dieser Frage nicht sein, könnte dies doch das ganze Konstrukt Liebe zu Fall bringen.

Die Frage nach der Farbe des Kleides kann in einem Kriminalfall noch eine ganze andere Bedeutung bekommen: War besagtes begehrte Objekt am Tatort, oder eben nicht?

Die famose Verstrickung zweier Genres

Im Kleinen beschreibt dieses Beispiel die famose Verstrickung von Liebe und Thriller, wie sie der südkoreanische Kultregisseur Park Chan-wook in seinem neuen Film „Die Frau im Nebel“ perfektioniert.

Sein Liebes-Thriller verknüpft zwei Genres und fordert das Publikum. Zu Beginn bekommen die Zuschauer extrem kurze Szenen serviert, nur das Nötigste wird erzählt, das Krimi-geschulte Gehirn ergänzt. Ein Mann, Mitarbeiter der Einwanderungsbehörde, liegt zerschellt am Fuße eines Berges, Kommissar Jang (Park Hae-il) trifft im Zuge seiner Ermittlungen auf die Witwe des Toten, Seo-rae (Tang Wei) und ist sehr schnell sehr begeistert von der Chinesin.

Es beginnt eine Geschichte, die als klassisch zu bezeichnen ist: Der Polizist verliebt sich in die mögliche Täterin und überschreitet so manche Grenze. Jang beginnt Seo-rae heimlich zu beobachten, postiert sich nachts vor ihrer Wohnung, fantasiert sich in ihre Welt, Vorstellung und Realität verschwimmen nicht nur für den Ermittler, auch der Zuschauer findet sich zwischen den Wahrnehmungen. Dazu verwirrt der Regisseur noch gekonnt durch Zeitsprünge und den Einsatz moderner Technik, Audioaufzeichnungen am Handy, Übersetzungs-Apps, eine Smartwatch als Tagebuch.

Doch auch klassische Krimiwendungen halten trotz komplexer Handlung bei der Stange. In dem einen Moment verdichten sich alle Hinweise gegen die Witwe, im nächsten sind sie wie von einem Schmetterlingsflügelschlag aufgelöst.

Nachdem der Fall des toten Kletterers abgeschlossen ist, nähern sich der Kommissar und die ehemals Verdächtige an, doch es scheint dem Polizisten nicht vergönnt, dieses Glück zu halten, sein eigener Zwang, jedes Detail zu sehen und zu deuten, hält ihn davon ab. Die Kamera folgt diesem misstrauischen Blick bis zur Großaufnahme eines Sojasaucenfisches.

Neben Liebe und Spannung hat „Die Frau im Nebel“ auch Komisches zu bieten, etwa, wenn der — vielleicht — schon gehörig in kriminelle Geschehnisse verwickelte Polizist nach dem Ausnehmen eines Fisches nicht ans Telefon gehen kann: „Blut an den Fingern“.

Als plötzlich ein weiterer Ehemann tot gefunden wird, bleibt unweigerlich die Frage im Raum stehen: Legt das Objekt der Begierde ihn, den Ermittler, den Zuschauer, rein, oder nicht? Kann er vor lauter Obsession noch klar sehen?

Park Chan-wook ist ein wahrer Filmmeister und das stellt er mit „Die Frau im Nebel“ auch wieder sehenswert unter Beweis. Immer wieder erkennt man sanfte Verweise auf andere Filmemacher: Lynch, Almodóvar, der Meister der Spannung, Hitchcock.

Ein Film, der Aufmerksamkeit und Konzentration einfordert, aber herrlichen Sehgenuss offeriert.

Von Mariella Moshammer

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